Interview: Angelina Maccarone über »Klandestin«
Angelina Maccarone. Foto: Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf.
Frau Maccarone, bereits 2017 hat »Klandestin« bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises einen Preis gewonnen für das beste unverfilmte Drehbuch. Aber bis der Film Premiere hatte (im vergangenen Sommer beim Filmfest München) verging viel Zeit.
Ich hatte damals schon eine Produktionsfirma, aber wir kamen – schon vor Corona – in eine Zeit, wo die Fernsehredaktionen immer weniger Geld für Kino-Koproduktionen hatten. Wir hatten auch gedacht, dass es anders laufen würde mit dem Preis im Rücken. Gedreht haben wir dann erst nach Corona, 2023.
Hat sich in den ganzen Jahren, wo das Thema Migration eigentlich immer aktueller wurde, das Drehbuch verändert?
Ich habe immer wieder am Drehbuch geschrieben. Die größte Änderung war die, dass der Film ursprünglich als internationale Koproduktion geplant war und in Brüssel spielen sollte, mit einer britischen Abgeordneten. Dann kam der Brexit und in Belgien gab es nach einem Skandal bei der Filmförderung einen Stillstand – am Ende musste der Film rein in Deutschland finanziert werden, was für das Drehbuch bedeutete, dass ich es komplett auf Frankfurt umgeschrieben habe. Was immer konstant blieb, waren die menschlichen Grundkonflikte. Das hat sich für mich allerdings noch mal geschärft dadurch, dass ich immer wieder daran geschrieben habe. Aufgrund von äußeren Umständen hat sich auch das Innere immer weiter herauskristallisiert. Das war immer da, aber es hat sich noch mal verfeinert.
Gab es von Produzentenseite mal die Überlegung, die Rolle von Lambert Wilson umzubesetzen, nachdem es keine internationale Koproduktion mehr war?
Nein, Lambert war von Anfang an so unterstützend und voll dabei bei dem Projekt, er wollte es auch unbedingt machen. Es war aber schwierig, an ihn heranzukommen, denn der französische Agent hat ihm das Drehbuch gar nicht weitergegeben. Dann sind wir über die britische Agentur gegangen und auch über eine britische Casting-Agentur, die Kontakt zu der britischen Agentur hatte. Dann hat es funktioniert. Er hat das Buch bekommen und in dem Moment, wo er es gelesen hatte, wollte er es unbedingt machen. Das war von Anfang an superangenehm und verbindlich – was sehr selten ist in diesem Metier. Und mit Barbara Sukowa war es so, dass ich wusste, es wird eine deutsche Schauspielerin. Und da sie in New York lebt, war es nicht einfach, sie zu fassen zu kriegen. Sie steckt in ihren Projekten immer tief drin und kann dann an gar nichts anderes denken. Als wir dann wussten, wir können es jetzt drehen, haben wir uns getroffen und sie war sofort dabei. Ich kann mir auch niemand anderen mehr vorstellen in dieser Rolle der Politikerin, weil sie so viel Humor und auch Verlorenheit, auch Wärme ausstrahlt. Sie bringt einfach eine ganze Menge für die Facetten dieser Figur mit, die ja auch, wenn sie schmaler angelegt wäre, schnell kippen könnte in etwas weniger Spannendes.
Wie sind Sie denn zu der Form gekommen, bei der die Geschichte aus den unterschiedlichen Perspektiven der vier Protagonisten aufgerollt wird?
Mir ging es im Kern darum, zu zeigen, wie diese vier Menschen sich verpassen, auch Chancen miteinander verpassen, Ich fand es ganz schön, mit dieser Form zu spielen, die uns als Zuschauende in die Rolle bringt, dass wir bestimmte Figuren erst kennenlernen, wenn wir in deren Perspektive angekommen sind. Ich wollte zeigen, dass die Person mehr ist als die Fassade. Das erschien mir als die einzige Form, das zu machen, weil ich nur so den Zuschauer motivieren kann, seine Vorannahmen über eine Figur mit dem in Beziehung zu setzen, was er aus der Erzählperspektive der Figur über diese erfährt. Damit habe ich schon 2006 bei »Vivere« experimentiert, wo es um drei Frauen und drei Perspektiven ging. Aus einer Perspektive zu erzählen, die dann möglicherweise einer anderen Perspektive zuwider läuft, fand ich äußerst reizvoll, weil ich das Gefühl habe, wir kranken daran, dass wir nichts Anderes akzeptieren als das, was wir jetzt gerade finden, dass der Blick für etwas Anderes verstellt ist. Für mich gab es im Grunde gar keine andere Möglichkeit, das zu erzählen.
War die Erzählperspektive der Ausgangspunkt oder war das die Flüchtlingskrise?
Beides nicht. Für mich war der Ausgangspunkt die Politikerin, mit der Frage an mich selber: was mache ich eigentlich für meine Überzeugung? Und die Frage an Europa, die sich stellt und an alle Menschen in Europa, die hier legal leben, weil sie hier geboren sind: wie ist das mit den europäischen Werten, die werden im Moment ja auch stark attackiert. Aber wir haben die auch lange schon verraten im Umgang mit unseren Grenzen. Also, wie ist es mit dieser Widersprüchlichkeit? Und wie ist es mit einer Figur, die beruflich damit zu tun hat, diese Verteidigung an den Grenzen mit zu gestalten – kann die in einen inneren Konflikt geraten mit sich selber?
Von der Premiere bis zum Kinostart hat es noch einmal neun Monate gedauert – obwohl das Thema Migration im Augenblick so aktuell ist wie nie zuvor....
Wir wollten gerne vor dem Kinostart noch auf ein paar Festivals, was sich ausgezahlt hat: der Film hat Preise gewonnen in Ludwigshafen und in Hamburg – den Hauptpreis beim Queeren Festival, das hat mich ganz besonders gefreut, denn Hamburg war ja lange meine Heimat. Wir hatten eine Paris-Premiere, aber wir haben dort auch noch keinen Verleih. Er lief in Chicago und in Tallin. Es ist das Huhn und das Ei: wenn es einen Weltvertrieb, gibt, ist es einfacher auf Festivals zu kommen und wenn wir auf einem internationalen großen A-Festival Premiere gehabt hätten, dann hätten wir wahrscheinlich auch einen Weltvertrieb. Immerhin gibt es eine Premierentournee: am 9. April sind wir in Berlin, dann am 23. beim Lichter Filmfest, am 24. in Lübeck, dann in Hamburg und Erfurt.
Was die Aktualität anbelangt, so höre ich seit 2017 immer wieder von Leuten: »Diesen Film musst Du jetzt machen, jetzt ist er aktuell!« Und jetzt ist er aktueller denn je, was auch ein bisschen traurig ist. Aber mir geht es ja nicht um das Tagespolitische. Im Übrigen glaube ich, das ist auch eine Frage, die uns noch lange begleiten wird.
Mit »The Look« haben Sie 2011 einen Dokumentarfilm über Charlotte Rampling vorgelegt. Das war Ihre einzige Arbeit in diesem Metier?
Ich hatte ein Projekt, das aber nicht zustande gekommen ist. Ich wollte gerne einen Film machen über drei Brüder im Dorf meines Vaters. Als der vor elf Jahren verstorben ist, bin ich in das Dorf in Italien zurück, wo er aufgewachsen ist und vor seinem Tod noch eine ganze Weile gelebt hat. Da habe ich drei Brüder kennen gelernt, die alle drei als Gastarbeiter in Deutschland gewesen waren. Das hätte geheißen 'Gianni und seine Brüder' – aber wir haben damals dafür keine Gelder bekommen. Ich hätte gerne einen Film gemacht über das Phänomen Zurückzugehen. Ich habe das auch erlebt bei meinem eigenen Vater, der dann in Italien in seinem Heimatdorf saß und von Deutschland träumte. In dem Dorf konnte ich mit so vielen Leuten auf Deutsch reden, die diese Erfahrung hatten. Sie sind aus den unterschiedlichsten Gründen zurückgegangen, aber ein großer Grund war die Wiedervereinigung, weil sie dann plötzlich wieder die 'Itaker' waren, als viele Leute auch ihre Jobs wollten und sagten 'Wir sind Deutsche!'
Das Thema der Rückkehr werde ich in meinem nächsten Spielfilm wieder aufnehmen. Den könnte man aber auch fast als Fortsetzung meines Debütfilms »Kommt Mausi raus?!« lesen. Es geht um eine Frau in ihren Mittfünfzigern, die lange in New York gelebt hat und nach Scharbeutz kommt, weil ihr Vater dort verstorben ist. Sie stößt auf die alten Konflikte mit ihrer Mutter und merkt, dass sie sich darum jetzt kümmern muss und will. Die Beziehung zu ihrer Partnerin in New York zerbricht. Es geht um Themen wie Zugehörigkeit und um Schamgefühl für die Herkunft.
Der große zeitliche Abstand zwischen »Klandestin« und dem vorangegangenen hängt mit ihrer Professur an der Filmhochschule in Babelsberg zusammen?
Ja; ich war da zehn Jahre lang Professorin. Ende März habe ich aufgehört und merke, dass ich große Lust habe, den Raum wieder mit Eigenem zu füllen.
Zwei Ihrer Filme, »Fremde Haut« und »Verfolgt«, sind kürzlich digital restauriert auf DVD wiederveröffentlicht worden. Da könnte man schon von Klassikern des queeren deutschen Films sprechen...
Ich habe 1997 einen Fernsehfilm gedreht, »Alles wird gut«, der lief auch erfolgreich auf internationalen Festivals und wird auch immer wieder angefragt, auch im Uni-Rahmen aus den USA. Das war einer der ersten Filme, wo es auch nicht-weiße Protagonistinnen gab, in Verbindung mit einer queeren Liebesgeschichte und mit einer Screwball Comedy. Der lief jetzt auch wieder verschiedentlich, bei einem queeren Festival in Hamburg war der Saal des Metropolis Kinos voll. Da waren ganz viele, die ihn damals im Fernsehen oder auf einem Festival gesehen hatten, aber auch eine junge Generation, die dachten, es gibt überhaupt keine Filme mit People of Color-Besetzung. Die Macher der ARD-Serie »Schwarze Früchte« haben sich auf auf diesen Film bezogen, wie sie bei einem Panel sagten.
Solche Stoffe heute im Kino und Fernsehen unterzubringen, ist aber kein Problem mehr?
Das ist ein Irrglaube. Man denkt immer, das ist einmal erstritten, Aber dann heißt es wieder 'Das haben wir doch gerade gehabt'. Wenn die Figur queer ist, wird es immer als Hauptthema gesehen und irgendwie als Nische betrachtet. Bei »Fremde Haut« hieß es: 'Muss sie auch noch lesbisch sein, wo sie schon Iranerin ist?' Auch bei »Klandestin« wurde gefragt, müssen da zwei der Charaktere queer sein? Dass das möglich ist, ist hier noch nicht angekommen. Bei »Verfolgt« war kein Sender dabei, die haben gemeint, ob die Frau nicht lieber Mitte Dreißig sein könne – Maren Kroymann war damals Mitte Fünfzig. Der ist dann auch bis heute nicht ausgestrahlt worden. Auch sagten die Redaktionen damals: Schwarzweiß geht gar nicht, dann denken die Zuschauer, ihr Fernsehgerät sei kaputt.
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