Interview: Jacques Audiard über »Emilia Pérez«
Jacques Audiard am Set von »Emilia Pérez« (2024). © Neue Visionen Filmverleih, Wild Bunch Germany
Monsieur Audiard, dies ist der dritte Film, den Sie in einer fremden Sprache drehen. War das diesmal auch deshalb eine Chance, weil es sich um ein Musical handelt und bei dem geht es ja nicht nur um Sprache, sondern auch um Tanz und Gesang, um die Choreografie – um das Zusammenwirken verschiedenster Elemente.
Diese Frage habe ich mir selber auch schon häufiger gestellt: warum mache ich eigentlich Filme in fremden Sprachen, vor allem in Sprachen, die ich selber nicht beherrsche. »Dheepan« ist auf Tamilisch, ich kann kein Tamilisch, »The Sisters Brothers« war auf Englisch, ich spreche gar nicht gut Englisch, »Emilia Pérez« jetzt auf Spanisch, das ich auch nicht beherrsche – und in »Wo in Paris die Sonne aufgeht« gab es Dialoge auf Chinesisch, diese Sprache spreche ich auch nicht. Die einzige Antwort, die mir darauf einfällt, ist, dass ich von Anfang an ein Interesse habe, den Klang der Sprache in den Vordergrund zu stellen. Für mich ist der Klang, die Musikalität der Sprache wichtiger als deren Grammatik, wichtiger als jedes einzelne Wort der Sprache verstehen zu können.
Die Titelfigur des Drogenbosses macht eine Entwicklung vom Mann zur Frau durch, wie sie auch die Darstellerin Karla Sofia Gascón in Wirklichkeit durchgemacht hatte. Haben Sie den Film chronologisch drehen können, oder musste sie mehrfach vor der Kamera das Geschlecht wechseln?
Unsere Ausstatterin Virginie Montel hat da sehr viel Arbeit hineingesteckt, um die Verwandlung von Karla Sofia Gascón in den Drogenboss Manitas zu bewerkstelligen. Irgendwann hat sie mir Fotos davon gezeigt und ich habe wirklich gedacht, das sei nicht Karla Sofia. Ich habe sie nicht wiedererkannt, es war unglaublich, wie sie diese Verwandlung durchführen konnte. Als sie mir das Foto zeigt, sagte ich, »ja, das wäre cool, wenn sie so aussehen könnte« – woraufhin sie erwiderte. »Das ist sie!« Wir haben den Film in zwei Blöcken gedreht, denn die Verkleidung, die Kostümierung hat teilweise drei, vier, fünf Stunden gedauert. Das kann man nicht mehrmals machen, das wurde in eins durchgedreht. Sie hat Gesichtsprothesen getragen und an den Augen kleine Tätowierungen, die aufzubringen hat ebenfalls sehr lange gedauert.
Der Film trägt als Titel den Namen einer Figur. Für mich war die von Zoë Saldaña gespielte Anwältin allerdings fast gleichberechtigt, sie macht ja auch eine Selbstermächtigung durch als schwarze Frau, die im Grunde genommen hinter den gewonnenen Prozessen der weißen Männer steht. Haben Sie selber diese beiden Figuren als gleichberechtigt empfunden, vielleicht sogar als Spiegelbilder?
Das sehe ich genauso. Der Film heißt »Emilia Pérez«, weil diese Figur mit ihrer Verwandlung das Thema des Films vorgibt, aber Rita ist gleichberechtigt gegenüber ihr. Es gibt ein Thema im Film, das man auch sehen kann, wenn man dafür offen ist, nämlich die Liebe zwischen Rita und Emilia. Rita liebet Emilia. Das wird nicht explizit gesagt, aber man kann es fühlen. Das wird auch in dem Moment deutlich, wo Rita die Kinder von Emilia aufnimmt, Kinder, die sie selber nicht haben konnte.
Das Subjekt des Films ist Emilia Pérez, die Thematik ist etwas, das ich schon öfter bearbeitet habe, die Frage: was kostet das Leben? Man hat ein Leben, das kostet soundsoviel, das zweite Leben kostet soundsoviel. Meistens ist das zweite Leben teurer als das erste. Und wie viele Leben darf man haben? Das führt ja alles zusammen.
War die Gleichberechtigung der beiden Frauenfiguren von Anfang an gesetzt oder aber war die Figur der Anwältin mehr eine Möglichkeit, den Zuschauer an die andere Protagonistin heranzuführen?
Das war die Idee, die dahintersteckte. Zu Beginn des Schreibprozesses war diese Figur allerdings ein Mann. Als ich daraus eine Frau machte, hatte das Konsequenzen für den ganzen Film. Dazu kommt, dass sie eine Frau in den Vierzigern ist und eine dunkle Hautfarbe hat – das hat alles geändert.
Als wir über »Wo in Paris die Sonne aufgeht« sprachen, haben Sie gesagt, dass Sie eigentlich – darin Truffaut folgend – jeden Film gegen den vorangegangenen drehen. Als ich »Emilia Pérez« sah, hatte ich allerdings den Eindruck, dass er eher bestimmte Themenstränge aus dem vorangegangenen Film weiterführt und eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit ihm hat, etwa das musikalische Element.
Truffaut sagte ja, der nächste Film ist das Gegenstück des vorangegangen. Wenn man einen Film fertig hat, macht man eine Schublade zu, aber im selben Moment poppt in dem Schrank eine andere Schublade auf. Darin zeigt sich irgendetwas Neues, etwas, was man vielleicht in der alten Schublade vermisst hat oder das man in der gar nicht sehen konnte. Seit ich Filme mache, war es immer so, dass ich schon etwas in petto hatte, sei es eine Synopsis, sei es ein Remake, sei es irgendetwas, das ich schon geschrieben hatte, was schon angefangen hatte. In diesem Fall war es anders: jetzt habe ich nichts in der Pipeline, weil ich während der vier Jahre, die ich gebraucht habe, um »Emilia Pérez« zu machen, »Wo in Paris die Sonne aufgeht« schon gedreht habe. Der Film, den ich eigentlich vor mir hatte, ist schon fertig – welche Schublade »Emilia Pérez« jetzt geöffnet hat, das weiß ich nicht.
Ich nehme an, Sie haben die Titelrolle zuerst besetzt. Hätten Sie keine geeignete Darstellerin gefunden, hätten Sie das Projekt dann aufgegeben oder gab es einen Plan B?
Das ist in der Tat schwierig gewesen, speziell am Anfang, denn ich hatte ihr zuerst das falsche Alter zugeordnet. Im Drehbuch war Emilia ungefähr 35 Jahre alt und Rita 30, das war ein großer Fehler. Als ich Karla Sofia getroffen habe, wusste ich, dass Emilia Pérez zwischen 40 und 50 Jahre alt sein musste. Letzten Endes wurde dieser Film also von den Schauspielerinnen vorgegeben.
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