Interview: Christian Alvart über »Oderbruch«

V. li. n. re.: Christoph Pellander (Redaktionsleiter der ARD Degeto), Christian Alvart (Regisseur, Drehbuchautor und Produzent), Felix Kramer, Karoline Schuch, Lucas Gregorowicz, Adolfo J. Kolmerer (Autor und Regisseur) und Arend Remmers (Headautor). Foto:

V.li.n.re.: Christoph Pellander, Christian Alvart, Felix Kramer, Karoline Schuch, Lucas Gregorowicz, Adolfo J. Kolmerer und Arend Remmers. Foto: ARD Degeto/Syrreal Entertainment/Lars Nitschke. Foto: ARD Degeto/Syrreal Entertainment/Lars Nitschke

Herr Alvart, wie Ihr Spielfilm »Freies Land« ist jetzt auch die Miniserie  »Oderbruch« im Osten Deutschlands angesiedelt...

Ja, allerdings weiter nördlich, in Mecklenburg-Vorpommern. 

Würden Sie es trotzdem als die Weiterführung der Erforschung einer bestimmten Landschaft sehen, auch wenn die Idee nicht von Ihnen, sondern von den beiden Drehbuchautoren stammt?

Arend Remmers und Adolfo J. Kolmerer haben »Freies Land« natürlich auch gesehen und waren sehr angetan von dem look, und haben sich ihre Serie genau so vorgestellt. Sie haben mich richtig ausgequetscht, was ich da alles gemacht habe, etwa, mit welchen Kameraoptiken ich gearbeitet habe. Deswegen gibt es auf jeden Fall Gemeinsamkeiten. In »Oderbruch« gibt es viel mehr Waldlandschaft, da wir auch etwas an den klassischen deutschen Mythos vom Wald heranwollten – während es da oben ja eher Sumpfgebiet sein sollte.

Damals haben Sie in der Ukraine gedreht, wie war das diesmal? 

»Freies Land« spielte kurz nach 1989, »Oderbruch« ist nicht historisch, weshalb wir mehr on location drehen konnten, aber wir haben auch diesmal unsere idealen Orte überall zusammengeklaubt, unten bei Görlitz und in Polen – aber auch echt im Oderbruch. 

Dass dort 1945 die größte Schlacht des Zweiten Weltkriegs auf deutschem Boden stattfand, wusste ich vorher nicht...

Ich auch nicht. Das hat Arend bei seinen Recherchen herausgefunden. Darüber gibt es auch dokumentarische Produktionen, gerade über die Exhumierungen, die bis heute stattfinden, weil immer wieder noch unbekannte verstorbene Soldaten gefunden werden.

Ihre beiden Mitstreiter sind ein Autorenteam? 

Ein Autoren-Regie-Duo, die haben einen ganz tollen Independentfilm gemacht, »Schneeflöckchen« – ohne fremdes Geld oder Förderung gedreht. Dieser Markt von Filmverrückten, die alles auf eine Karte setzen, dem fühle ich mich sehr verwandt, weil das genau das ist, wie ich angefangen habe. Das war so herausragend, dass wir uns sofort getroffen haben. Worauf habt Ihr Lust? Woran wollt Ihr mitarbeiten? Arend Remmers hat schon die Abschlussfolge von »Dogs of Berlin« geschrieben, die zweite Staffel der Serie hätte ich mit Adolfo Kolmerer gemacht, wenn es dazu gekommen wäre. Stattdessen haben wir dann »Sloborn« zusammen gemacht, da haben wir uns schon die Regie geteilt. Seitdem haben wir viele Projekte miteinander entwickelt. Die Zwei haben bestimmt bei unserem ersten Gespräch schon ein Dutzend Stoffe gepitcht, die ich alle sehr toll fand. Das soll eine langjährige und fruchtbare Zusammenarbeit bleiben.

Aber Sie haben sie nicht unter Exklusivvertrag?

Wir haben einen First Look Deal: sie kommen mit ihren neuen Sachen zu uns, arbeiten aber auch für andere, wir wollen niemanden einschränken. Adolfo hat »Liberame – Nach dem Sturm« gemacht, ein Flüchtlingsdrama für das ZDF. Gerade arbeitet er an einer Fitzek-Verfilmung für Amazon und Regina Ziegler, für ich mit »Abgeschnitten« ja auch eine Fitzek-Verfilmung gemacht hatte. Arend hat noch den Kinofilm »Traumfabrik« geschrieben. 

Wie lief der Pitch gegenüber ARD und CBS? Inwieweit musste dabei der Twist des Films schon verraten werden?

Wir haben gesagt, dass die Protagonisten über einen monströsen Mordfall an einen weltbekannten Mythos geraten. Natürlich gab es für die Geldgeber auch einen ausführlicheren Pitch, wenn man in weitere Gespräche geht – dort haben wir dann schon die Katze aus dem Sack gelassen.

War es schwierig zu entscheiden, wann das Mysteriosum enthüllt wird? In der ersten Folge fällt ein Begriff, der genreaffinen Zuschauern etwas verraten könnte ...

Daran haben wir lange gearbeitet, man will es ja auch nicht wie ein Kaninchen aus dem Hut zaubern. Wir haben etwas für das Mystery-Genre Ungewöhnliches gemacht: wir haben es nicht bis zum Ende geheim gehalten, man weiß eigentlich schon in der Mitte der Serie, worum es geht. Wir fanden das zu ernährungsarm, wenn alles auf einen Twist zuläuft und danach kommt nichts mehr. Wir wollten den Twist haben und dann auch noch dramaturgisch damit arbeiten  können – deswegen haben wir uns dafür entschieden, das in der Mitte zu machen.  

Das Ende ist so beschaffen, dass es noch eine weitere Staffel geben könnte...

Ich will kein offenes Ende, bei dem man den Zuschauer hängen lässt. Im heutigen Markt ist eine weitere Staffel nie gesichert, insofern ist es unfair, wenn sich jemand auf eine Serie einlässt und siebeneinhalb Stunden seiner Zeit spendet und dann eine unfertige Geschichte bekommt. Es werden alle brennenden Fragen beantwortet, aber wir haben uns in den Figuren und in den Konstellationen Mühe gegeben, Stoff für eine zweite Staffel zu lassen, weil wir diese Welt auch wirklich lieben – wir haben da eine Tür aufgestoßen und sehen da ganz viele Möglichkeiten.

Mit Folgenlängen von 51 Minuten aufwärts sprengt die Serie schon das Sendeschema der ARD.

Wir sind ganz klar um einen Pitch gebeten worden für ein Format, das nicht Formatfernsehen ist, sondern auf die Mediatheken ausgerichtet ist. Insofern war da schon in den ersten Gesprächen eine neue Freiheit zu spüren.

Sie haben im Lauf der Jahre mit ganz verschiedenen Partnern gearbeitet: Netflix, Telepool, ZDFneo. Kommen Sie mit allen gut klar?

(lacht) Ich finde, das ist ein Vorteil, wenn man mit vielen gut klar kommt, denn alle suchen zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Stoffe. Ich bin ja nicht jemand, der Aufträge annimmt, sondern wir suchen eine Heimat für unsere Stoffe – und da ist es viel besser, wenn man möglichst kompromisslos etwas gestalten will, Leute findet, die auf den Stoff anspringen und nicht solche, mit denen man auf Teufel komm raus zusammenarbeiten muss. Ich finde diese Flexibilität in der Suche des Partners wahnsinnig wichtig im heutigen atomisierten Zeitalter. Wir kommen mit allen wirklich gut klar. Ich hatte gute Erfahrungen überall, wobei sich das manchmal radikal schnell ändert. Die Leute, mit denen ich bei Netflix gearbeitet habe, sind jetzt alle gar nicht mehr da, da müsste ich neue Erfahrungen machen. Als nächstes kommt übrigens die dritte und letzte Staffel von »Sløborn« – am 2.2.

Dabei haben Sie auch wieder Regie, Kamera, Produktion und Buch übernommen – oder delegiert?

Nein, in dem Fall habe ich alles alleine gemacht, sechs Folgen, das war gerade noch übersichtlich genug.

Was ist mit »Riptide«, das in der IMDb als Projekt zu finden ist?

Das haben wir nach Kanada abgegeben, das war schon immer eine kanadische Koproduktion, wir sind aus Zeitgründen jetzt nur noch minoritär dabei, das werde ich nicht machen.

Diese Vierfachbelastung brauchen Sie, das macht Ihnen Spaß?

Ja, das brauche ich für mich. Ich bin Filmemacher und fühle mich sehr wohl dabei, wenn ich meine eigenen Stoffe verfilme. Ich habe auch immer wieder mit anderen Autoren, Kameraleuten und Produzenten zusammengearbeitet; ich empfinde das gar nicht als Vierfachbelastung, weil ich das alles gleichzeitig machen kann: letztlich hat man ja einen Film in seinem Kopf und versucht, den der Welt abzuringen. Da gehört es auch dazu, dass man mit Investoren verhandelt, mit Sendeanstalten spricht, die Geschichte bearbeitet, das Buch erstellt und dann in Bildern umsetzt, die Schauspieler führt – das ist für mich alles Teil der Arbeit eines Filmemachers. Als ich als Amateur angefangen habe, gab es diese Aufteilung noch gar nicht. Als ich dann anfing professionell zu arbeiten, dachte ich, das gehört sich nicht. Das ist komisch, wenn Du das jetzt so machst. Aber mit den Jahren habe ich mich da wieder zurück zum Ursprung begeben.

Bei »Freies Land« haben Sie gesagt, mit dem, was Sie machen, seien Sie in Deutschland in einer Nische. Sind Sie inzwischen mehr in der Mitte angekommen oder wird das, was Sie machen, mehr akzeptiert?

Akzeptiert wird es immer mehr, etwas Besonderes ist es immer noch; ich hoffe, dass die Nische wächst und größer wird. Beim »Tatort« habe ich ja u.a. »Borowski und der stille Gast« gemacht, ein Psychothriller, der Millionen Zuschauer hatte. Da denkt man immer, man muss die wieder knacken können und nicht für immer die Zuschauer nur dem »Tatort« überlassen. Nische ist es schon, aber hoffentlich eine immer größer werdende Nische.

Wie haben Sie es geschafft, die Liedermacherin Bettina Wegener als Darstellerin vor die Kamera zu bewegen?

Ich habe sie besucht, wir haben uns lange unterhalten, zum Glück fand sie die Bücher ganz spannend und hat sie verschlungen wie eine Strandlektüre. Sie war ganz begeistert, hatte aber natürlich Respekt vor der Aufgabe, nachdem sie all die Jahre seit der Schauspielschule nicht wirklich gespielt hat. Wir haben dann die Rolle um sie herum gebaut.

Sie haben Bettina Wegener durch den Dokumentarfilm über sie (wieder-)entdeckt?

Nein, Suse Marquardt, unsere Casterin, hat sie vorgeschlagen. Die kommt ja selbst aus dem Osten, hat auch damals »Freies Land« gecastet...

...und Felix Kramer für »Dogs of Berlin« vorgeschlagen.

...aber der musste sich für die Hauptrolle in der Netflix-Serie noch im Casting beweisen, während Bettina Wegener direkt besetzt wurde.

Das ist jetzt Ihre dritte Zusammenarbeit mit Felix Kramer. Bei »Freies Land« hatten sie zuerst Zweifel, weil es eine ähnliche Rolle war wie bei »Dogs of Berlin«. Hat er jetzt gesagt, »Oh, endlich mal was anderes, eine normale Person«?

Diese Probleme, dass wir uns wiederholen, gab es hier nicht. Er spielt zwar wiederum einen Ermittler, aber der nimmt eine ganz andere dramatische Funktion ein. Das war für ihn eine Herausforderung, weil es manchmal für einen Schauspieler einfacher ist, sich auf eine äußere Haut zu konzentrieren und dann die Figur zu entdecken – diesmal musste er es genau andersherum machen, von ganz tief innen, von der Kindheit her diese Figur aufbauen. 

Ist das die erste Produktion im Rahmen Ihres First Look Deals mit CBS als Weltvertrieb?

Nein, das erste war die Serie »Ze Network«, die hier bei RTL+ zu sehen ist.

Gab es Differenzen, was die Bewertung durch CBS und ARD anbelangt? 

Nein, CBS schaltet sich sehr stark ein, bei allen Redaktionskonferenzen, bei allen Büchern, bei allen Casting-Entscheidungen. Die sind genauso dabei wie der deutsche Partner, aber sie stellen sich sehr auf die deutsche Lokalität ein – man hat nicht das Gefühl, da kommen jetzt Amis, die das zu einer Ami-Serie machen wollen. Wir sind bei unserer Produkionsfirma Syrreal total begeistert von dieser Zusammenarbeit und hoffen, dass das noch lange so fruchtbar bleibt – jedenfalls wurde der Deal gerade beidseitig verlängert.

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