Nachruf: Jean-Louis Trintignant

11.12.1930-17.6.2022
Jean-Louis Trintignant

Jean-Louis Trintignant

Leise, mit Gefühl

Als er 1969 beim Filmfestival von Cannes mit gleich drei Filmen vertreten war, wurde Jean-Louis Trintignant gefragt, ob er sich Chancen auf einen Darstellerpreis ausrechne. Seine Antwort ist bezeichnend. Er glaube nicht an einen Preis, denn er sei kein Schauspieler für Effekte. Die Preise würden von Schauspielern gewonnen, die in großen Szenen glänzten, aber das sei nicht sein Stil. Ein zurückhaltendes, aber intensives Spiel zeichnet ihn immer aus. Für ihn sind die besten Schauspieler die, die am meisten fühlen, aber am wenigsten zeigen. In seinen Filmen war er selten ein Mann der Tat, er wirkte melancholisch und verletzlich, konnte charmant und verführerisch sein, manchmal aber auch abgründig.

Tatsächlich war Trintignant Ende der 60er Jahre mit einer Karriere sowohl in Frankreich wie in Italien schon einer der profiliertesten Schauspieler des europäischen Films. Er war 1930 in Südfrankreich in einer gut situierten Familie geboren worden. Er begann zunächst ein juristisches Studium, entschied sich dann aber für den Besuch der Filmakademie IDHEC, ­ursprünglich mit dem Ziel, Regisseur zu werden. Dass er sich der Schauspielerei zuwandte, begründete er später damit, dass er seine Schüchternheit überwinden wollte. Berühmt wurde er schon mit seinem dritten Film, Roger Vadims . . . »Und ewig lockt das Weib« (1956). Das Ereignis des Films war natürlich die junge Brigitte Bardot, die provokativ alle Männer des Ortes verwirrt, darunter Curd Jürgens. Trintignant hat die eher undankbare Rolle, als frisch vermählter Ehemann ihrem Treiben tatenlos zusehen zu müssen, bis er ihr schließlich doch eine Ohrfeige versetzt. Mehr Aufmerksamkeit als der Film selbst fand allerdings die Affäre, die Trintignant und Bardot während des Drehens hatten, und das, obwohl er zu dieser Zeit mit Stéphane Audran verheiratet war. Vor dem Boule­vardinteresse flüchtete Trintignant, indem er seinen Militärdienst leistete.

In Dino Risis Klassiker »Il Sorpasso – Verliebt in scharfe Kurven« (1962) kontrastiert seine Reserviertheit als gehemmter Jurastudent mit dem extrovertierten Auftreten von Vittorio Gassmann bei einer Autofahrt an die Küste. Der Student wird schließlich lockerer, aber dann findet der Ausflug ein jähes Ende. In Alain Cavaliers »Der Kampf auf der Insel« (1962) spielte Trintignant erstmals zusammen mit Romy Schneider, mit der er mehrere Filme machte, »Le Train – Nur ein Hauch von Glück« (1973), »Das wilde Schaf« (1974) und »Die Bankiersfrau« (1980). Zum Star wurde er 1966 mit Claude Lelouchs »Ein Mann und eine Frau«. In diesem enorm erfolgreichen Film spielte er einen Rennfahrer, der mit Anouk Aimée eine komplizierte Liebesgeschichte erlebt. Teil der Nouvelle Vague war er nicht, aber er hat wiederholt mit ihren Regisseuren gearbeitet: mit Claude Chabrol, Eric Rohmer und mit François Truffaut bei »Auf Liebe und Tod« (1983).

Ungewöhnlich ist seine Rolle in Sergio Corbuccis winterlichem Italowestern »Leichen pflastern seinen Weg« (1968). In einer einsamen Schneelandschaft ist er ein stummer Kämpfer, der es mit illegalen Kopfgeldjägern aufnimmt. Im Politthriller »Z« wiederum beeindruckt er als der unbeirrbare Untersuchungsrichter, der sich nicht einschüchtern lässt und so das Komplott der Faschisten aufdeckt.

Eine seiner wichtigsten Rollen hatte Trintignant bei Bernardo Bertolucci in »Il Conformista – Der große Irrtum« (1970), wo er die Figur des eigentlich unangepassten Intellektuellen im faschistischen Italien als düsteres Porträt voller Ambivalenz anlegt. Im Streben nach Normalität lässt er sich auf den Verrat seines in der Emigration lebenden Mentors ein. Von Trintignants späten Filmen bleibt auf jeden Fall Kieslowskis »Drei Farben: Rot« (1994) im Gedächtnis. Er ist dort ein verbitterter pensionierter Richter, der durch die Begegnung mit der jungen Irène Jacob aus seiner Isolation finden könnte.

2003 traf Trintignant ein schwerer Schicksalsschlag, als seine Tochter Marie, selbst schon bekannte Schauspielerin, im Streit von ihrem Freund getötet wurde. Für mehrere Jahre zog er sich vom Film zurück und trat nur noch gelegentlich am Theater auf. Michael Haneke konnte ihn schließlich zu einer Rückkehr überreden. So hatte er in dessen »Liebe« (2012) als fürsorglicher alter Musikprofessor, der seine hinfällige Frau umsorgt, ein bewegendes Comeback.
 

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