Interview mit Jia Zhang-ke über seinen Film »Asche ist reines Weiß«

Jia Zhang-ke am Set von »A Touch of Sin« (2013). © REM

Jia Zhang-ke am Set von »A Touch of Sin« (2013). © REM

Herr Jia, die Zeit und das Vergehen von Zeit spielen in Ihrem neuer Film »Asche ist reines Weiß« eine große Rolle – und das nicht zum ersten Mal. Was interessiert Sie daran?

Sie haben Recht, die Zeit hat mich schon oft beschäftigt. Auf ganz unterschiedliche Weise, wobei im Fall von »Asche ist reines Weiß« meine Herangehensweise eine ähnliche ist wie im Vorgänger »Mountains May Depart«. Es war mir wichtig, meine Protagonisten über einen langen Zeitraum zu verfolgen, nicht nur um die Veränderungen der Figuren nachzuverfolgen, sondern auch die der chinesischen Gesellschaft. Das hat natürlich viel damit zu tun, dass ich selbst mittlerweile Ende 40 bin. Nicht nur an mir selbst wird mir immer deutlicher, dass und wie die Zeit vergeht, sondern ich nehme auch die Veränderungen um mich herum deutlicher wahr als früher. Verglichen mit früheren Zeiten erscheinen mir die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten paar Jahrzehnte gerade in China sprunghafter und auch traumatischer denn je. Wenn ein Film sich über 17 Jahre erstreckt – denn zu Beginn von »Asche ist reines Weiß« befinden wir uns ja im Jahr 2001 – dann ist das sehr geeignet zu zeigen, was wir in dieser Zeit alles gewonnen, aber vor allem auch verloren haben.

An welche Verluste denken Sie?

Ich gebe Ihnen nur mal ein Beispiel, das sich thematisch in meinem Film erkennen lässt. Eigentlich wurde in der chinesischen Kultur Solidarität immer groß geschrieben. Das Band zu deinen Liebsten galt als beinahe untrennbar. Das ist nicht mehr ohne weiteres der Fall, wie sich in »Asche ist reines Weiß« am männlichen Protagonisten Bin erkennen lässt. Der strebt nach Erfolg im materiellen Sinn, nach sozialem Aufstieg – und das geht auf Kosten seiner Geliebten und seiner Brüder. Und natürlich bleibt dieser Verlust von Loyalität nicht folgenlos.

Das eigentliche Zentrum des Films ist allerdings die von Zhao Tao gespielte Qiao. Was interessierte Sie an dieser willensstarken Frau als Protagonistin?

Zunächst einmal muss ich betonen, dass es mir nicht um eine »starke Frau« in dem Sinne ging, dass sie abgebrüht oder rücksichtslos sei. Im Gegenteil ist Qiao ja bei aller Stärke jemand, deren Hauptmotivation die Sehnsucht nach Liebe ist, was in meinen Augen kein Paradox darstellt. In jedem Fall war es mir als männlichem Regisseur wichtig, eine Frau in den Mittelpunkt zu stellen und ihre Perspektive einzunehmen, weil ich damit die immer noch sehr Männer-orientierte, patriarchale chinesische Gesellschaft besonders in den Blick nehmen und analysieren konnte. Gleichzeitig muss man sagen, dass sich in China immer mehr talentierte, beeindruckende Frauen in Schlüsselpositionen finden lassen, dem wollte ich natürlich auch Tribut zollen.

In Ihrem Film »Mountains May Depart« spielte der Song »Go West« von den Pet Shop Boys eine große Rolle, dieses Mal setzen Sie mehrfach »YMCA« von den Village People ein. Was hat es damit auf sich?

Der Film setzt 2001 ein, und damals waren die jungen Leute in China voller Hoffnung, das Leben war bunt und voller Musik. Zu den populärsten Songs in den Discos gehörten damals tatsächlich »Go West« und »YMCA«. Letzterer war also in diesem Fall ein guter Weg, die Handlung nicht nur zeitlich zu verankern und mit einem bestimmten Lebensgefühl zu versehen, sondern auch einmal mehr die sozialen Veränderungen zu zeigen, etwa durch Einflüsse aus dem Ausland. Das gleiche gilt für das Turniertanzen, das ja auch im Film vorkommt. Auch das war ein Import aus dem Westen, der um die Jahrtausendwende herum enorm populär in China wurde.

Die Veränderungen, die Sie beobachten, haben auch formale Auswirkungen auf den Film...

Richtig, je weiter die Zeit voranschreitet, desto weiter verändert sich der Look des Films. In die Szenen, die 2001 spielen, habe ich zum Beispiel viele alte DV-Aufnahmen integriert, die ich selbst damals gedreht habe. Insgesamt kamen bei »Asche ist reines Weiß« die verschiedensten Kameras, Equipment und Materialien zum Einsatz, von altem Filmmaterial über die DV-Kamera und Beta bis hin zu Digicam und HD. Ich wollte die Veränderungen auch technisch begleiten und den Bildern quasi je nach Zeitebene eine andere Textur verleihen. 

Vor einigen Jahren hatten Sie mit dem Film »A Touch of Sin« Probleme mit der Zensurbehörde, der Film durfte wegen politischer Bedenken in China nicht ins Kino kommen. Hatte diese Erfahrung Auswirkungen auf die folgenden Arbeiten?

Natürlich ging das nicht spurlos an mir vorbei, und sollte so etwas wieder passieren, weiß ich, wie ich mit einer solchen Situation umzugehen habe. Aber als Künstler habe ich mich dadurch nicht verändert. Es wäre ja fürchterlich, wenn ich mich nun bei meinen Filmen oder anderen Arbeiten jedes Mal fragen würde, ob ich dadurch Probleme bekomme oder wie ich der Obrigkeit gefallen könnte. Für mich gibt es nichts wichtigeres, als mir selbst in meiner Kunst treu zu bleiben. Ich kann mich weder künstlerisch noch emotional verbiegen, und die Freiheit der Kunst ist für mich das höchste Gut. Deswegen bin ich im Zweifelsfall auch bereit, entsprechende Konsequenzen zu tragen. 

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