Filmfest München 2018

Ewige Missverständnisse
»Kim hat einen Penis« (2018)

»Kim hat einen Penis« (2018)

Die Idee des Münchner Filmfests besteht darin, »die besten Filme des Jahres zu feiern«. Und wie sah das beim Programmschwerpunkt deutsches Kino aus? Ein kleiner Streifzug

Von einer Reise in die Schweiz hat Kim einen Penis mitgebracht; den konnte sie sich dort ohne größeren bürokratischen Aufwand in einer Klinik anpassen lassen, quasi versuchsweise, zum Ausprobieren, für ein paar Wochen. Ihren Freund hat Kim in dieser Sache nicht zu Rate gezogen, und der staunt daher nicht schlecht, als er ihr voll Wiedersehensfreude an die Wäsche geht: Was soll das fremde, dabei doch so vertraute Organ zwischen den Beinen seiner Freundin!? Will sie etwa im Bett die Rollen tauschen!?

»Kim hat einen Penis«, so der treffend schlichte Titel des beim Filmfest in München uraufgeführten neuen Werks von Philipp Eichholtz (dessen letztes, »Rückenwind von vorn«, vor ein paar Monaten erst bei der Berlinale Premiere feierte). Und es geht um nicht weniger als die Auswirkungen dieser anatomischen Veränderung auf ein Beziehungsgeflecht, das aus Kims Partner und ihrer (gerade verlassenen) besten Freundin gebildet wird. Der kleine Unterschied und seine großen Folgen also, wörtlich, um nicht zu sagen: buchstäblich genommen, und mit sympathischer Unbekümmertheit in Szene gesetzt. Eichholtz lässt sich ein auf die unterschiedlichen Perspektiven, die die Ausgangsidee ermöglicht, er wechselt zwischen Tonlagen, mischt Konträres, doch ohne dabei allzu scharfe Dissonanzen zu erzeugen. Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie? Jedenfalls ist es auch ein Film über die ewigen Missverständnisse und die mangelhafte Kommunikation zwischen Frau und Mann.

Während sich aus Eichholtz' Blickwinkel der Geschlechterspannung gerade noch ein paar humorvolle Aspekte abgewinnen lassen, ist anderen das Lachen längst schon vergangen. In ihrer an der HFF München entstandenen Abschlussarbeit macht die in Berlin geborene Eva Trobisch keine Kompromisse: »Alles ist gut«, der mit dem Fipresci-Preis und dem Förderpreis Neues Deutsches Kino (in den Kategorien Regie und Schauspiel) ausgezeichnet wurde, lotet die Folgen einer Vergewaltigung – resultierend aus einer klassisch aus dem Ruder laufenden Party-Situation – aus und geht dabei an die Schmerzgrenze. Das Opfer nämlich will kein Opfer sein, sondern die gestandene, starke, berufstätige Frau, die sie ist, bleiben. Janne (Aenne Schwarz) will also die erlittene Gewalttat »nicht zum Problem werden lassen« und wendet eine Verdrängungsstrategie an, die sich als zunehmend unpraktikabel erweist. Und deren Rigidität sich geradezu körperlich auf die Zuschauer(in) überträgt. Das ist natürlich alles andere als im herkömmlichen Sinne unterhaltsam, bietet aber profunde Gedanken über die möglichen Zusammenhänge zwischen Schweigen und Gewalt in einem ökonomisch kontextualisierten Geschlechterverhältnis.

Man kann natürlich auch einfach nur Party machen. Wie die vier Freundinnen, die Klaus Lemkes Stammschauspieler Henning Gronkowski in seinem Langfilmdebüt porträtiert. Angesiedelt in Berlin, der großmäuligen Mutter aller Party-Städte, scheint Yung das wilde Leben im Vollrausch zu zelebrieren. Zumindest eine Weile lang, in der Gronkowski mitunter reichlich explizit ausfallende Einblicke in den Alltag einer Mädchenclique präsentiert, die zwischen Posertum und Pseudo-Coolness abwärts torkelt. Allmählich schleicht sich dann aber der Wirklichkeitssinn ein, zeigen die verquollenen Gesichter erste unschöne Folgen, stellt sich der zügellose Hedonismus als Falle heraus. Es ist die Zeitspanne zwischen Feier-Freiheit und Sucht-Problem, die Gronkowski in Yung im Stil einer teilnehmenden Beobachtung einfängt, ungeschönt und unschön zugleich.

Gleichfalls mit einem schwer dingfest zu machenden Zwitterwesen bekommt man es bei Katinka Narjes' erstem langen, an der dffb entstandenen Spielfilm zu tun. In dem sperrig-faszinierenden »Nixen« erzählt Narjes nach eigenem Drehbuch die Geschichte der Schwestern Nene und Ava, die über ihre quasi-symbiotische Bindung die Ankunft im je eigenen Leben beinah vergessen haben. Tänzerisch schwebend, voll flüchtiger Gesten lässt Narjes' erstaunlich ausgereifter Inszenierungsstil Leerstellen, die als Freiräume wirken. Sie verleihen der Narration eine märchenhafte Anmutung und lassen die formale Umsetzung kunstlos kunstvoll wirken. Eine hingeworfene Skizze, die sich als großes Werk entpuppt.

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