Interview mit John Carroll Lynch über seinen Film »Lucky«

John Carroll Lynch. Foto: Manfred Werner (2017)

John Carroll Lynch. Foto: Manfred Werner (2017)

Mr. Lynch, am Anfang des Vorspann heißt es »Harry Dean Stanton is LUCKY«: das geht über seine Rolle hinaus, denn einer der beiden Autoren war sehr gut bekannt mit Harry Dean Stanton und hat die Figur auf dieser Basis entwickelt.

Das hat viele Bedeutungen: von einer altertümlichen Art, einen Schauspieler einzuführen, über die reale Person von Harry Dean Stanton, den beide Drehbuchautoren gut kannten. Der eine übrigens besser als der andere: Logan Sparks war sein Assistent seit ungefähr sechzehn Jahren; mein Freund Drago kannte ihn schon länger. Harrys Darstellung ist ebenso Film wie etwas aus seiner Biografie. Dennoch ist Lucky eine komplett andere Person als Harry, sie haben nur denselben Hintergrund. Es war eine Herausforderung für Harry, das zu spielen:

Wie kam das Drehbuch zu Ihnen?

Drago gab es mir und fragte, ob ich darin spielen wolle. Das Drehbuch gefiel mir sehr, und vier Tage mit Harry Dean Stanton: das klang vielversprechend, also sagte ich »Ja«. Zwei Monate später kam er noch mal und sagte, sie würden nach einem Regisseur suchen – ob ich mir das vorstellen könne? Daraufhin setzte ich mich mit den beiden zusammen.

Kamen Ihnen je Zweifel, ob ein abendfüllender Spielfilm das richtige Regiedebüt sei? Viele Schauspieler inszenieren ja zuerst Fernsehepisoden, bevor sie sich an einen Spielfilm wagen.

Nein, ich hatte schon lange vor zu inszenieren. Ich beobachtete eine Reihe von Fernsehregisseuren bei ihrer Arbeit, ich war auf über fünfzig Filmsets, ich fühlte mich dieser Geschichte verbunden und wusste, wie sich sie erzählen wollte und ich verstand die Apparatur – wie ich den Look des Films gestalten wollte und welche filmischen Mittel ich dafür benötigte.

Das heißt, sie haben bei den Dreharbeiten von Filmen, in denen Sie mitwirkten, das schon studiert, wenn Sie gerade nicht selber vor der Kamera standen?

Ja. Ich begann mit Kurzauftritten, dann kam »Fargo« und anschließend wirkte ich in einem Pilotfilm für das Fernsehen mit. Dabei habe ich den Technikern immer viele Fragen gestellt. Als ich beschloss, selber Regie zu führen, wurden die Gespräche ein Stück weit fachspezifischer.

Harry Dean Stanton kannte das Drehbuch schon sehr viel länger als Sie selber?

Nicht viel länger, einige Monate. Ihm wurden einige große Rollen in den letzten Jahren angeboten, aber das war ihm zu anstrengend. Logan und Drago schrieben diesen Film für ihn und versuchten, einige seiner Freunde zur Mitarbeit zu gewinnen. Ed Begley war der erste, bei einigen anderen klappte es aus Termingründen nicht. Aber am Ende hatten sie doch Zusagen von einigen Menschen, mit denen Harry befreundet war. Das war wichtig, weil sie der Überzeugung waren, dann würde es Harry leichter fallen, den Film zu machen. Ich muss allerdings auch sagen, dass ich – in der Zeit, wo ich ihn kannte – nie erlebt habe, dass Harry etwas machte, dass er nicht machen wollte. Es gab eindeutig etwas im Drehbuch, das ihm gefiel, unabhängig von den Personen.

Es überrascht mich zu hören, dass ihm in den letzten Jahren große Rollen angeboten wurden. Ich hatte die Vorstellung, dass er eher zu einem director's actor geworden sei, so hatte er einen sehr kurzen Auftritt in J.J. Abrams' »The Avengers«. Wie haben Sie ihn schließlich gewonnen?

Nach meiner Zusage erstellte ich eine Regiefassung des Drehbuches, arbeitete einige Figuren stärker aus, räumte Unklarheiten aus. Wir fügten einige Szenen hinzu, die Rolle von James Darren wurde vertieft. Wie trafen uns mit Harry, wobei ich den Eindruck hatte, er war überrascht, dass der Film zustande kam. Danach besuchten wir ihn jeden Samstag in seinem Haus und sprachen mit ihm über das Drehbuch, wobei er meistens Fragen stellte zum Verhalten und zu den Dialogen seiner Figur. Er meinte auch schon mal: »Das würde ich nie sagen«, woraufhin Logan erwiderte: »Aber genau das hast Du gerade gesagt, Harry.« Auf Harrys Wunsch fragten wir David Lynch, ob er mitspielen würde. Am Ende stand ein dreieinhalbstündiges Gespräch, das ziemlich kontrovers war. Zum ersten Mal schaltete er den Fernseher aus. Einmal meinte er allerdings auch, »Ihr habt überhaupt keine Ahnung, Jungs!« Hinterher äußerte einer der Produzenten, er habe Zweifel, ob Harry den Film wirklich machen wolle. Ich beruhigte ihn: »Doch, er hat sich jetzt darauf eingelassen und stellt genau die Fragen, die ich in einer solchen Situation auch stellen würde.« Ich würde sie wahrscheinlich nicht in derselben Art und Weise stellen, aber man merkte, dass er versuchte, sich das Material anzueignen. Das waren ja auch ziemlich verwirrende Umstände: er spielt eine Rolle, die auf seiner Person basiert, die aber nicht er selber ist – und die spielt er, als wäre sie Harry Dean Stanton. Er brauchte einen Kontext für die Figur, um zu sehen, wie sie funktioniert.

Kam es während des Drehs vor, dass er sagte ‚Das bin nicht ich!' oder umgekehrt ‚Das ist zu nah an mir dran!'?

Ja, zum Beispiel, als wir die Szene drehten, wo er von seinem Kriegserlebnis erzählt. Die Autoren sagten mir, er wolle diese Geschichte aus seinem Leben nicht erzählen. Als ich morgens ans Set kam, hatten sie ihn soweit, dass er zwar zögerlich, aber doch bereit war. Die ganze Szene wurde ja in einer einzigen Einstellung gedreht. Ich meinte zu ihm. »Lass es uns einfach ausprobieren und sehen, wie Du Dich dabei fühlst.«. Wir drehten und ich meinte, für mich sei das in Ordnung gewesen, von mir aus benötigten wir keinen zweiten Take. Er aber wollte gern noch einen machen. Normalerweise war es so bei Harry, wenn man ihn um einen weiteren Take bat, dass er gleich fragte, was stimmte nicht mit dem letzten? Hier wollte er noch einen dritten.

Was ich besonders mutig fand, war die Szene, wo er zu Beginn vor den Spiegel tritt und man den Körper eines alten Mannes sieht. Hatte er je Zweifel daran?

Keine! Gerade der Kontrast zu den vorherigen Yoga-Übungen und der Vitalität, die er dabei zeigt, war für mich frappierend.

Mich erinnerte das an David Cronenbergs »Die Fliege«, der seinerzeit Zuschauer ähnlich verstörte.

Aber der Unterschied ist, dass es hier vollkommen um das Menschliche geht: wenn wir in diesem Alter so einen Körper haben, dann sollten wir das feiern.

Die vielen Großaufnahmen von ihm standen schon im Drehbuch oder waren sie Teil des Regiebuches?

Einige, aber vieles kam erst in den gemeinsamen Gesprächen hinzu. Wir hatten nur 17 Drehtage, ich musste also gut vorbereitet sein. Es war mir auch wichtig, dass sein Arbeitstag eine bestimmte Zeit nicht überschritt, denn natürlich waren die Dreharbeiten anstrengend für ihn.

Mir hat auch gefallen, dass einiges nicht erklärt wird, so, wenn er ein Schimpfwort ausstößt, wenn er an einem bestimmten Ort vorbeikommt oder warum er die Grillen kauft. Benötigte Harry Dean Stanton dabei von Ihnen auch eine Erklärung, warum er das macht?

Er brauchte für alles einen Grund – aber das Schöne daran war, dass er bereit war, alles zu machen. Das große Rätsel im Film allerdings ist, zu wem er am Telefon spricht. Die Frage beantworte ich nicht, Harry aber wollte das gleich zu Anfang wissen. Da zeigte sich der Unterschied zwischen ihm als Schauspieler und mir als Schauspieler.

Was war seine Reaktion, als er den fertigen Film sah?

Leider hat er ihn nicht mehr gesehen; ich wollte ihm einen Link schicken, aber er wollte ihn unbedingt auf der großen Leinwand sehen. Wir hielten nach Möglichkeiten Ausschau, das zu ermöglichen, aber als sich seine Gesundheit verschlechterte, lief uns die Zeit davon. Ich habe auch keinen anderen Regisseur, der mit ihm gearbeitet hat, gefragt, wie wichtig ihm die fertigen Filme waren. Mein Eindruck war, er machte sich nicht viel draus – ihm war wichtig, es zu spielen und singen, und im Fernsehen Gameshows und die Spiele der Lakers anzusehen.

Wo Sie das Singen erwähnen: eine weiterer Höhepunkt des Films ist, als er bei der mexikanischen Geburtstagsfeier ein Lied anstimmt. Das stand vermutlich schon im Drehbuch?

Natürlich; wenn man Harry Dean Stanton für einen Film engagiert, muss man von seinen Talenten Gebrauch machen! Das erste Mal, wo ich ihn als Sänger wahrgenommen habe, war »Cool Hand Luke« – gerade weil der Film mit seinem Straflagersetting so etwa Bedrückendes hatte, war das damals ein Akt der Befreiung. Später sah ich ihn in dem Dokumentarfilm über ihn, »Partly Fiction«, singen, ich wusste, dass er eine eigene Band hatte und zudem eine Vorliebe für Mariachi-Musik. Als ich im Drehbuch las, dass er singt, war ich sehr glücklich.

Ihr Film war 2017 der Eröffnungsfilm gleich mehrerer Filmfestivals: Locarno, Hamburg, die Viennale. Kann man sagen, dass Sie selber glücklich sind im Moment?

Oh, ja. Es gab so viele Glücksfälle bei diesem Projekt. Der Grundstein, dass ich diesen Film inszenieren durfte, wurde vor 16 Jahren gelegt. Damals kam bei Dreharbeiten ein Produktionsassistent auf mich zu und gab mir das Drehbuch eines Kurzfilms: Ob ich Lust hätte, dabei mitzuwirken? Das Buch gefiel mir, ich hatte am Samstag nichts vor, also sagte ich zu. Mein Gegenüber in dem Kurzfilm war ein junger Schauspieler namens Drago – wir blieben in Verbindung.

Spüren Sie im Augenblick einen Druck, die Gunst der Stunde zu nützen und ein Nachfolgeprojekt anzuschieben?

Ich hoffe, dass, wenn es soweit ist, sich jemand findet, der das Risiko eingeht. Der Film, an dem ich gerade mit meinem Schreibpartner (mit dem ich seit 15 Jahren zusammenarbeite) sitze, behandelt ein ähnliches Thema, allerdings geht es dabei um eine Familie – was wir über unsere Eltern wissen und was wir nicht wissen (und wie das die Art beeinflusst, wie wir sie sehen). Das ist eine Originalgeschichte, in die einige Erfahrungen eingeflossen sind, die ich selber gemacht habe. Es wäre natürlich schön, wenn das Drehbuch schon fertig wäre, aber so ist es nun einmal nicht.

Sie arbeiten weiterhin auch als Darsteller?

Ich habe einiges gedreht, seit wir die Postproduktion beendet haben. Ich liebe diese Arbeit und kann mir derzeit nicht vorstellen, damit aufzuhören.

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