Nachruf: Jerry Lewis

Komiker, Schauspieler, Regisseur, 16.3.1926 – 20.8.2017
Jerry Lewis in »Hollywood or Bust« (1956)

Jerry Lewis in »Hollywood or Bust« (1956)

Er war ein Rebell des Alltags, ein existenzieller Anarchist, ein Kindskopf, ein Narr. Oft tobte er durch die Welt, mit wilden Grimassen, verrückten Gesten, stupiden Sprüchen, als sei ihm alles Erwachsene fremd: Wenn er ging, stolperte oder torkelte er, wenn er handelte, sorgte er für Chaos, und wenn er redete, brabbelte er. Dem Üblichen setzte er das Naive entgegen, meist sehr halsstarrig, weil er nie einsah, was für ihn nicht einzusehen war. Selbst wo er sich hin und wieder artig und brav gab, auf den ersten Blick, konnte er das Querköpfige und Trotzige nicht lassen.

Sein größtes Wagnis unternahm er 1963, sieben Jahre, nachdem er sich von seinem straight man Dean Martin trennen musste: In »The Nutty Professor« spielte er gleichzeitig seine typische Rolle und die seines alten Partners. Er verkörperte zum einen den ewigen Tollpatsch, der alle nervt, und zum anderen (nach Einnahme einer Droge) den schönen Charmeur, der jeden fasziniert. Ein Spiel à la Dr. Jekyll & Mr. Hyde, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Eigentlich verwandelt er sich aus Liebe, doch gibt es auch den Wunsch, endlich mal dazuzugehören. Am Schluss geht er für ein Fest auf die Bühne, attraktiv, selbstsicher, unwiderstehlich, er spielt Klavier und singt. Aber dann lässt die Wirkung der Droge nach, und er verwandelt sich vor aller Augen zurück in den hässlichen, linkischen Trottel, das Gesicht zerknautscht, die Haltung verkrampft, die Stimme piepsig. Kurz danach bittet er darum, anzuerkennen, dass er ist, wie er ist. Da mischt sich die Pein mit tieferem Leid, und die Scham mit existenzieller Klage. In der Essenz seiner Komik war Jerry Lewis immer auch Zeitkritiker und Philosoph.

Geboren wurde er in Newark, New Jersey. Sein Vater war Vaudeville-Sänger, seine Mutter Pianistin. Mit 13 Jahren debütierte er auf der Bühne, er legte Platten auf und tat so, als singe er selbst. Mit 20 begann seine Zusammenarbeit mit Dean Martin in Shows, mit Sketchen, Tanz und Gesang – vor allem in Nachtclubs. Mit 22 erhielt er – mit Martin – eine eigene Radioshow, später auch eine  TV-Sendung. Mit 23 drehte er seinen ersten Film: »My Friend Irma« (für Hal Wallis), da bewies er, wie komisch selbst die Arbeit an einem Saft-Kiosk sein kann. Mit Dean Martin sei es, so Lewis später, wie bei einem Tanz gewesen, oft mit Tränen in den Augen, weil das Mädchen, das er in den Armen hatte, ein Junge war.

Jerry Lewis’ wichtigstes Kennzeichen: die ständigen Verrenkungen, mit denen er den Irrsinn der Welt weiter auf die Spitze trieb. Er fuchtelte und hampelte herum, zappelte, ruckte und zuckte mit Gesicht und Körper, bis alles aus den Fugen war, danach wurde alles in eine neue, aber ganz andere Ordnung gebracht. In »Thatʼs My Boy« (1951) verliert er unentwegt seine Brille und verstärkt nahezu blind das Durcheinander. In »The Stooge« (1951) fordert er ständig ein Glas heißes Wasser, was nicht nur die Kellner zur Weißglut treibt. Und in »The Caddy« (1953) zerlegt er im Vorbeigehen ein Kaufhaus. In »Three Ring Circus« (1954) spielt er zum ersten Mal einen Clown; da heißt es, in ihm sei etwas, worüber die Leute lachen, und wenn das explodiere, werde er eines Tages der Beste sein. In »Artists and Models« (1955) sucht er dem trostlosen Zwang zu entgehen, tagtäglich Bohnen zu essen, indem er eine red bean zum Steak imaginiert. In »Hollywood or Bust« (1956), dem letzten gemeinsamen Film mit Martin, gelingt es ihm mit seinen Hampeleien, beim Würfeln in Las Vegas zu gewinnen. Und in »The Big Mouth« (1967) holt er als Hobbyangler einen verletzten Froschmann aus dem Meer, durch den er in einen Kuddelmuddel gerät zwischen Schmugglern, Gangstern und Hoteldetektiven, bis er schließlich vor allen davonrennt, quer über einen Vergnügungspark.

Jerry Lewis war ein genialer Artist des Komischen. Mal gab er, wie Charlie Chaplin, das unschuldige Opfer, das nur durch Glück davonkommt. Mal erduldete er, wie Buster Keaton, stoisch die Qualen der Welt: ein Blinder, der vom Sehen träumt und doch weiß, dass die Nacht kein Ende hat.
 

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