Interview mit Paolo Virzì

»Paolo Virzi«

»Paolo Virzi«

Was ist ein menschliches Leben wert? - Gespräch mit Paolo Virzì über seinen Film »Die süße Gier«

Ein amerikanischer Roman wird nicht jeden Tag für das Kino nach Italien verlegt…

Ich habe viele Schriftsteller als Freunde, einer von ihnen machte mich auf den Roman von Stephen Amidon aufmerksam. Er sprach mich sofort an, wie eine modernere Version von Tom Wolfe. Es mag ungewöhnlich sein, einen amerikanischen Roman nach Italien zu verlegen, aber vielleicht sagt das auch einiges aus darüber, dass die Welt kleiner wird.

Haben Sie den Autor gefragt, ob Sie der erste waren, der seinen Roman verfilmen wollte oder ob vielleicht Hollywood auch schon einmal an seine Tür geklopft hatte?

In der Tat hatte ein großes Studio eine Option, deshalb mussten wir auch warten, bis diese ausgelaufen war. Ich hatte Glück, dass Stephen  Amidon, der mittlerweile zu einem guten Freund geworden ist, wir schreiben gerade ein neues Projekt zusammen, einen meiner Filme, »Caterina va in citta«, aus dem Kabelfernsehen kannte und diesen sehr mochte. Natürlich haben wir aus seinem umfangreichen Roman nur Teile verwendet und einiges verändert, auch einige spezifisch italienische Dinge hinzugefügt, aber damit hatte er kein Problem. Was mich auch gereizt hat, war die Mischung aus Thriller und Komödie, mit dem darunter liegenden Problem, was ein menschliches Leben wert ist.

Wie schwierig war es, eine Region in Italien zu finden, wo Sie die Geschichte ansiedeln konnten? Gab es je eine Alternative zur Lombardei und Mailand?

Nein, das war unsere erste Idee. Connecticut, der Schauplatz des Romans, ist die Gegend um New York herum, wo die Bosse der Wall Street leben. Dem entspricht die Lombardei, denn Mailand ist das Finanzzentrum Italiens, während Rom für Politik, Kultur und Kirchen steht.

Der Film hat eine ungewöhnliche Struktur, derselbe Zeitraum wird nacheinander aus drei Perspektiven erzählt. Wie sind Sie dazu gekommen?

Das ergab sich in der Arbeit mit meinen beiden Ko-Autoren, die auch schon bei meinem Film »La prima bella cosa« mit an Bord waren.

Haben Sie mit den beiden zusammen in einem Raum gesessen oder sich per Mail ausgetauscht?

Ersteres. Jeden Morgen um 9 Uhr setzten wir uns zusammen, was einfach war, weil wir auch Nachbarn sind, am Nachmittag arbeitete ich dann alleine weiter. Francesco Piccolo ist ein anerkannter Romanautor, Francesco Bruni, der wie ich aus Livorno kommt, ist ein alter Freund von mir aus Schultagen.

Die Mischung aus Thriller und Sozialsatire ist ungewöhnlich. Der Prolog bereitete den Zuschauer bereits auf das Thrillerelement vor, dann aber erst am Ende in den Vordergrund tritt.

Das stimmt, zunächst dominiert die Komödie um Gier und Aufstiegswillen, die mehr an klassische italienische Sozialkomödien von Dino Risi und Mario Monicelli erinnert, erst später wird es dramatischer – eine Parabel über den Kapitalismus und seine Hedgefonds, die auf das Versagen des Staates wetten.

Hatte der italienische Verleiher keine Probleme mit dem Titel? "Il capitale umano" klingt ja eher abstrakt (und wird erst am Ende des Films in einem Nachsatz erklärt). In Deutschland kommt Ihr Film unter dem Titel »Die süße Gier« ins Kino.

Tatsächlich gab es einige Bedenken wegen dieses ‚kalten’ Titels, der eher an ein Essay denken lässt, ein ökonomisches oder politisches Pamphlet. Glücklicherweise habe ich in Italien doch einen gewissen Bekanntheitsgrad als Komödienautor, und das Plakat, auf dem die in Italien wohlvertrauten Darsteller zu sehen sind, half ebenfalls dabei, dass der Film an den italienischen Kinokassen gut abschnitt.

Die Figuren werden recht komplex gezeichnet, gerade Dino, mit dem die Geschichte beginnt, in seinem unbedingten Willen dazuzugehören zu den Arrivierten.  Daraus hätte man leicht eine Karikatur machen können, während er hier eher als tragikomische Figur erscheint.

Das war die Herausforderung dieses Films, den richtigen Ton zu finden und die Balance zu wahren zwischen Lächerlichkeit und Tragik.

Die einzige Szene, in der für mich der Film zur Karikatur neigte, war das Roundtable-Gespräch der Theaterleute. Hatten Sie selber negative Erfahrungen mit solchen Menschen?

Nein, ich habe selber einige Theaterstücke als Autor und Regisseur gemacht. Das war schon eine Karikatur - die allerdings in der Realität verankert ist. In Como, wo wir diese Szene drehten, gibt es solch ein leerstehendes Theater (das einzige der Stadt), obwohl dies eine der reichsten Städte der Region ist, bei der man an die Villen denkt, die Menschen wie George Clooney dort besitzen.

Die von Valeria Bruni Tedeschi gespielte Gattin des Hedgefondsmanagers wird von dem Literaturprofessor während des gemeinsamen Ansehens von Carmelo Benes Film »Nostra Signora di Tutti« verführt…

Wir haben seine Familie um die Rechte an diesem erstaunlichen und verrückten Film gebeten. Wir machen uns nicht über ihn lustig, sondern über die beiden Menschen.

Ihre beiden Hautdarstellerinnen Valeria Bruni Tedeschi und Valeria Golino haben auch schon Regie geführt…

Nicht nur sie, auch Fabrizio Bentivoglio und Luigi La Cascio! Das war eine Herausforderung für mich. Sie hatten aber allesamt keine Probleme mit ihren Rollen, die ihre Figuren nicht unbedingt im besten Licht erschienen lassen.

Sie selber standen bereits ebenfalls auf der anderen Seite der Kamera, in Nanni Morettis »Der Italiener«.

Das war ein Spiel, Nanni wollte den Rekord brechen, in einem Film die größte Anzahl von Regisseuren vor der Kamera zu haben. Ich bin kein guter Schauspieler, das weiß ich, seit ich als Jugendlicher im Kleinstadttheater gearbeitet habe.

Neben Ihren Spielfilmen haben Sie auch eine Reihe von Dokumentarfilmen gemacht, darunter einen über das berühmte Autorenduo Age & Scarpelli aus dem sogenannten Goldenen Zeitalters der italienischen Films.

Das war ein großer Einfluss für mich. Furio Scarpelli war mein Lehrer, als ich an der römischen Filmschule studierte. Später begann ich dann als sein Assistent. Ich glaube, zum Verständnis der Italiener gibt es keine besseren Filme als diese mit ihrem scharfen Witz.

Ihre Filme sind in Italien erfolgreich und liefen auf ausländischen Festivals. Haben Sie je ein Angebot aus Hollywood bekommen?

Ja, gerade jetzt treffen die verschiedensten Drehbücher von großen amerikanischen Studios ein, aber ich glaube, ich wäre nicht sehr gut darin, einen Action-Film oder einen Marvel-Comic zu inszenieren – Sie hören ja, dass mein Englisch nicht gerade perfekt ist. Ich nutze lieber das Privileg, meine eigenen Geschichten in meiner eigenen Sprache zu erzählen.
 

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