Kritik zu Die süße Gier

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Das »süße Leben« floriert, mit Kollateralschäden ist zu rechnen. So lautet die Botschaft des neuen italienischen Films, der ähnlich wie Paolo Sorrentinos La Grande Bellezza an das alte italienische Kino anknüpft

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Die Abschlussfeier ist zu Ende. Der Kellner macht sich auf den Weg. In eisiger Nacht. Das Schlusslicht des Fahrrads verheißt nichts Gutes. Prompt wird aus dem Unfall ein Fall. Whodunit? Schon die amerikanische Romanvorlage »The Human Capital« von Stephen Amidon ist in bester Krimitradition eigentlich ein Gesellschaftsroman, der die Tücken des Turbokapitalismus direkt an der Quelle aufspürt. So sind der Tod des Kellners und die Fahrerflucht des Autofahrers nur der Anlass für eine Ursachenforschung, die ziemlich schnell zutage bringt, warum sich die Zustände in Connecticut so nahtlos auf Oberitalien, die reiche Gegend nördlich von Mailand, übertragen lassen. Ein Lehrstück?

Am nächsten Morgen treffen zufällig zwei alte Freunde, der abgehalfterte Immobilienmakler Dino (Fabrizio Bentivoglio) und der berüchtigte Investmentfondsmanager Giovanni (Fabrizio Gifuni) aufeinander. Dino will eigentlich nur Tochter Serena (Matilde Gioli), die mit Giovannis Sohn befreundet ist, vor der protzigen Palladio-Villa des Parvenüs abladen, aber daraus wird mehr. Dino springt nicht nur als Tennispartner ein, sondern investiert – aus purer Eitelkeit – im Handumdrehen eine erkleckliche Summe ins angeblich verheißungsvolle Geschäft. Natürlich auf Pump. Das wäre auch dann nicht gut gegangen, wenn besagter Unfall, der nach und nach alle Familienmitglieder ins Spiel bringt, nicht passiert wäre.

So startet ein Verwirrspiel, das einerseits dem Whodunit geschuldet ist, andererseits aber auch als Metapher für die undurchsichtigen Verhältnisse moderner Investitionspraktiken herhalten kann. Auch deshalb erzählt Paolo Virzì in Abänderung der Vorlage das Geschehen gleich dreimal: aus dem Blickwinkel von Dino, aus dem der nicht nur auf ihren High Heels unsicheren Managerfrau Carla (Valeria Bruni Tedeschi) und aus Sicht von Dinos Tochter Serena, die als Einzige mit beiden Füßen fest auf dem Boden der Tatsachen zu stehen scheint.

Der deutsche Verleihtitel Die süße Gier erinnert etwas plump an Das süße Leben und Fellinis römische Gesellschaft, die schon damals dem American Way of Life nacheiferte. Anders als damals, als eigene Stoffe  und eine eigenwillige Ästhetik die gesellschaftkritischen Filme von Fellini oder auch Antonioni bestimmten, bedient sich Virzì einer Vorlage und gibt sich mit seiner naturalistischen Bildgestaltung wenig Mühe, über ein plattes Abziehbild heutiger Zustände hinauszugelangen.

Der Dreiteiler eröffnet allerdings den Schauspielern große Spielräume, insbesondere Fabrizio Bentivoglio als Dino, der die tragikomische Seite seiner Figur haarscharf an der Karikatur vorbeiführt, sowie Valeria Bruni Tedeschi als Carla, die wie eine profane Ausgabe von Monica Vitti deren Innerlichkeit als Wohlstandsdepression nach außen kehrt. Herausragend die Entdeckung von Matilde Gioli als Serena, einer Kämpfernatur, die mit Leidenschaft und Wahrheitsliebe so etwas wie einen Hoffnungsschimmer darstellt. Aber auch damit verlässt sich Regisseur Virzì auf das amerikanische Prinzip »Happy End«. Schade.

... zum Interview mit Paolo Virzi

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