Unheimlich digital

Der deutsche Film bei den 36. Internationalen Hofer Filmtagen

Am Jahresende wird abgerechnet. Da gibt es die endgültigen Besucherzahlen - auch für den deutschen Film. In diesem Jahr hat sich der deutsche Film bislang schwer an der Kasse getan, wie so oft. Schon allein deshalb blicken im Herbst alle Augen auf das kleine Städtchen im Fränkischen: Welche Entdeckungen gibt es im wichtigsten Schaufenster des deutschen Films?

In den achtziger Jahren, als der Neue Deutsche Film in gepflegter Größe versandete und die Beziehungskomödien schon zu langweilen begannen, da forderte alle Welt den "schmutzigen kleinen Film", schnell gedreht, direkt auf das Leben reagierend, unaufwändig in seiner Ästhetik, mehr an der Geschichte als an den Bildern interessiert. Wer hätte gedacht, dass diese schmutzigen kleinen Filme einmal zum deutschen Mainstream werden - allerdings nicht aus den verquasten Träumen des Guerilla-Filmemachens heraus, sondern wahrscheinlich aus Gründen der Kostenersparnis. 30 deutsche Filme hatte Heinz Badewitz in sein Programm aufgenommen, und die meisten waren auf Video gedreht und für die große Leinwand auf Zelluloid übertragen. Und es gibt immer mehr Gründe für die Befürchtung, dass wir uns von einer Bildästhetik, die mit Tiefenschärfe und Licht arbeitet, verabschieden werden müssen.

Es gibt Geschichten, da drängt sich die Intimität der digitalen Handkamera und der wackeligen Bilder förmlich auf, und es gibt Sujets, da sollte man diese
Mittel lieber bleiben lassen. Die Datsche von Carsten Fiebeler ist so ein Fall: ein Paar, mittelalt, in einem Wochenendhaus im tristen November-Nirgendwo der
Ex-DDR, und zwei Geiselnehmer. Ein Genre-Film, selten genug im deutschen Kino und selten gelungen. In anderen Ländern machen solche Filme das Gros der Produktion aus, und sie leben von der Variante: von den plötzlichen Wendungen der Story, von der Eigendynamik der Figuren. Fiebeler versteht es, seine
Zuschauer immer wieder zu überraschen, und er arbeitet mit ruhigen, im Verhältnis zu anderen digital gedrehten Produktionen fast statischen CinemaScope-Bildern. Was hätte dagegegen gesprochen, diesen Film auf 35 mm zu drehen?

Die Nähe zu ihren Figuren: die suchten in Hof vor allem zwei Filme, Eoin Moores Pigs Will Fly und Dominik Grafs Hotte im Paradies. Pigs Will Fly knüpft
ästhetisch wieder an Moores bravourösen Erstling plus-minus-null an: die Geschichte eines prügelnden Polizisten, der sich zu seinem Bruder nach San
Francisco aufmacht, aber auch dort wieder an sich scheitert. Moore versucht das Porträt eines Mannes, der nicht mit seinen Emotionen umgehen kann, aber nie als Monster erscheint. Eine Tätergeschichte gewissermaßen, wie Winfried Bonengels Führer Ex, der auch in Hof lief (Kritik auf S. 49). Und aus dieser Perspektive erzählt auch Dominik Graf seinen Hotte im Paradies, eine Fernsehproduktion, in Hof auch digital projiziert. Hotte ist ein kleiner Zuhälter in Berlin, der nach oben will, sich eine dritte Prostituierte, Jenny, kauft und sich mit der Russenmafia anlegt. Man hätte diese Geschichte auch als stilisiertes Melodram
entwickeln können oder als Lehrstück von Aufstieg und Fall, aber Graf verzichtet auf jede Distanz. Er lotet eine Beziehung aus, die auf den Kreislauf des Geldes gegründet ist und dennoch ohne Emotionen nicht auskommt. Die Faszination, die dieses Milieu zumindest auf Hotte ausübt: das ist das Thema
dieses Films, der Mythos vom schnellen Geld und vom schnellen Leben - zumindest für den Zuhälter. Immer wieder führt Graf die Insignien dieser Welt vor, die
aus der Tasche gezogenen Geldbündel, die teuren Uhren. Und ein schöner running gag ist der Platzregen, der die Luden und ihre offenen Cabrios immer wieder überrascht. Doch so richtig rund wird dieser Film trotz seiner wunderbaren Schauspieler (Misel Maticevic, Nadeshda Brennicke, Birge Schade) nicht. Als Jenny verschwindet, findet Hotte in einer Disco sofort Ersatz (sind Friseusinnen wirklich so doof?), und man nimmt Hotte auch nicht ab, dass ihm seine Gefühle in die Quere kommen. Jennys Befreiung aus einem Sado-Bordell und ihre Rückkehr zum Vater aufs platte Land grenzen fast schon an Kitsch.

Solche Probleme in der Entwicklung der Geschichten - und besonders beim Schluss - hat man in Hof oft gesehen. Der Eröffnungsfilm Halbe Miete (aus der Reihe "Radikal digital") von Marc Ottiker hat eine wunderbare Drehbuchidee: Ein Hacker auf der Flucht versucht einen letzten Deal in Köln, muss untertauchen und quartiert sich, anfänglich ohne Wissen der Bewohner, in fremden Wohnungen ein. Doch allzu schnell lässt Ottiker manche Figuren fallen und fügt eine
Läuterung des Hackers an, die sich gewaschen hat. Aber die Episoden in den fremden Wohnungen sind faszinierend, lakonisch und voller Witz, auch wenn sie von Einsamkeit handeln.

Einen Film wie Toter Mann von Christian Petzold, der im letzten Jahr die in Hof gezeigten deutschen Filme bei weitem überragte (und dennoch nicht ins Kino
kam), konnte Heinz Badewitz in diesem Jahr nicht herbeizaubern. Aber manchmal wunderte man sich über Lichtblicke, wo man sie gar nicht vermutet hätte.
Annette Ernst gelang mit Kiss and Run eine frische und turbulente Paarkomödie und der Publikumsliebling des Festivals. Geht nicht gibt's nicht von Rene Heisig sieht auf den ersten Blick wie die Illustrierung eines Zeitungsartikels zum Thema Überschuldung junger Paare aus und besitzt doch Passagen großer
Wahrhaftigkeit und Atmosphäre - und die beste missglückte Sexszene im deutschen Film der letzten Jahre. Es hat in Hof alles andere als großes Kino
gegeben, aber einige Filme mit großen Momenten. Und wahrscheinlich ist das im deutschen Film insgesamt zur Zeit nicht anders. 

Rudolf Worschech

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