Kritik zu Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein

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2019
Original-Titel: 
Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein
Filmstart in Deutschland: 
25.04.2019
L: 
140 Min
FSK: 
12

Schrill-Schräges aus Österreich: Rupert Henning interpretiert André Hellers ­semi-autobiografisches Buch als wilden Familienexzess

Bewertung: 3
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Gleich zu Beginn werden wir ins kalte Wasser geworfen. Da paddelt der alte Roman Silberstein (Karl Markovics), Abkömmling einer Wiener Zuckerbäckerdynastie, singend über seinen Haussee, während der Rest des Clans vom Ufer aus zuschaut. Irgendwann wird es der Frau Mama (Sabine Timoteo) zu viel. Vom Holzsteg aus stürzt sie sich ins Wasser, schwimmt zum Boot – und wird von ihrem Gatten mit wütenden Ruderhieben empfangen. Sekunden später sind auch die Söhne im Wasser, der ältere Johannes (Nikolaas von Schrader) und der zwölfjährige Paul (Valentin Haag). Johannes zieht die Mutter an Land, während Paul seinerseits vom Vater gerettet werden muss. Er kann nämlich nicht schwimmen.

Seltsame Szene? Seltsame Szene! Die ganze selbstzerstörerische Exzentrik der wohlhabenden Industriellenfamilie kommt da zum Ausdruck, der Hass, der sie auseinandertreibt, aber auch der Kitt, der sie zusammenhält. Wo die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit verlaufen, welche Motive jeden einzelnen antreiben, ja: was der ganze Zirkus eigentlich soll, wird allerdings nicht so deutlich. Immerhin, es ist ein ziemlich einzigartiger Ton, den Regisseur Rupert Henning da anschlägt, eine in den späten Fünfzigern angesiedelte Melange aus bitterer Satire, heftigem Familiendrama, fantasievoller Komödie und surrealer Rückschau, die sich auch in den folgenden Zweieinviertelstunden ihre bizarre Seltsamkeit bewahren wird.

Rupert Hennings Film ist eine Adaption von André Hellers autobiografisch gefärbtem gleichnamigem Buch, in dem der inzwischen 72-jährige Wiener Entertainer seine Kindheit neu erfindet. Im Zentrum steht der kleine Paul, ein frühreifer, aus der Art geschlagener Individualist, der sich erst am gestrengen Patriarchat des vom Krieg gebrochenen Vaters, dann am Diktat eines katholischen Jesuiteninternats reiben wird. Aus dem Off führt er uns sprachgewaltig durch die Geschichte, präsentiert die Listen seiner Ängste und Wünsche, und mit der Zeit schließt man ihn mit seinem spröden Charme, vor allem aber seiner tapferen Unbeirrbarkeit mehr und mehr ins Herz.

In anderen Händen hätte »Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein« das Zeug zu einem kühnen Coming-of-Age-Trip à la »Léolo oder Toto – Der Held« gehabt, Hennings Skript aber fehlt der Wille zur Eigenständigkeit, seiner Inszenierung der Mut zur radikalen Stilisierung. Die glasklaren Widescreen-Bilder reklamieren zwar durchaus einen künstlerischen Anspruch (und betonen vor allem die Enge, die selbst an opulentesten Orten herrschen kann), sie bleiben jedoch eigenartig brav und kalt: sauberes Handwerk, keine Vision. Starke Momente gibt es trotzdem. Und die verdankt der Film vor allem seinem Hauptdarsteller. Valentin Haag spielt beides – die kindliche Verletzlichkeit und die Chuzpe des jungen Revoluzzers – mit erstaunlicher Sicherheit, vor allem: mit wunderbarem Understatement. Wenn er im betörenden Finale dann richtig aufdreht, kommt plötzlich vieles auf schlüssige Weise zusammen, was zuvor wie Stückwerk wirkte.

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