Kritik zu Wenn du Angst hast, nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst
In ihrem berührenden Coming-of-Age-Film erzählt Marie Luise Lehner von den Auswirkungen der Klassenunterschiede beim Erwachsenwerden
»Warum sind wir immer in allem anders?«, fragt Anna einmal wütend ihre Mutter, als der Kampf um Zugehörigkeit wieder einmal zu anstrengend geworden ist. Dass sie nicht wirklich dazugehört, bekommt Anna in ihrer neuen Schule immer wieder zu spüren. Ihre Mitschülerinnen und Mitschüler am Gymnasium in der Wiener Innenstadt kommen aus einer anderen sozialen Schicht als sie. Das macht sich schon an den Markenklamotten fest, die alle selbstverständlich tragen, während Anna sich ein Shirt mit – gefälschtem – Markenlogo erst organisieren muss. Ihre alleinerziehende, gehörlose Mutter hält sie beide mühsam über Wasser, das Geld reicht nur für das Allernötigste, für jede Extraanschaffung muss Oma etwas dazugeben.
Dabei leben Tochter und Mutter – wunderbar natürlich gespielt von Siena Popović und Mariya Menner – trotz der beengten Wohnung liebevoll und geborgen miteinander in einer Wohnanlage, wo Anna Spielkameraden und Freiheit hat. Doch der Anpassungsdruck an der neuen Schule sorgt für Konflikte, etwa als Anna nicht an der Klassenfahrt mit Skikurs teilnehmen kann, weil die teure Ausrüstung von allen selbst mitgebracht werden muss. Wie beschämend, deswegen eine Grippe vorschützen zu müssen. Und obwohl sie in ihrer Klasse mit Mara eine echte Freundin findet, bleibt sie mit manchen Fragen allein.
Die Wiener Filmemacherin, Autorin und mit der Band Schapka auch erfolgreiche Punkmusikerin Marie Luise Lehner erzählt in ihrem ersten Langfilm so unaufgeregt wie einfühlsam, ohne dramaturgische Kniffe oder pathetische Wendungen davon, was Klassenunterschiede konkret bedeuten. Sie findet bei aller Unaufdringlichkeit und Leichtigkeit, mit der sie erzählt, schmerzhaft präzise Bilder dafür. Etwa bei der Geburtstagsfeier von einer von Annas Schulfreundinnen: In einer Reihe von Großaufnahmen sehen wir die Parade all der schönen Geschenke, vom Buch über ein Halskettchen bis hin zum Kopfhörer. Und dann Annas Geschenk: eine zusammengerollte Zeichnung, von einem Bindfaden zusammengehalten. Selbst gemacht, mit Zeit und Liebe – doch ohne materiellen Wert. »Ah, danke, cool«, sagt knapp und kühl die Beschenkte. »Wenn du Angst hast, nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst« ist präzise in seinen Beobachtungen und dabei auch ein liebevoller Film, nicht nur gegenüber seinen Hauptfiguren. Ganz beiläufig kommen hier »andere«, etwa queere Menschen vor, auch gibt es kein Gut und Böse, nicht einmal Antagonisten, die Anna hänseln. Übliche Klassenklischees lässt Lehner außen vor. »Die Kinder sind alle lieb. Der soziale Unterschied ist in meinem Film kein persönliches, sondern ein gesellschaftliches Problem«, sagt sie. So ist ihr Film kein Thesenpapier oder Pamphlet über Klassismus und Ableismus, sondern eine kluge, zärtliche Geschichte vom Erwachsenwerden und Anderssein, von Grenzen durch soziale und materielle Unterschiede oder auch körperliche Einschränkungen – und darüber, wie man am Überschreiten von Grenzen wächst und wie das Anderssein auch eine Stärke sein kann.
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