Kritik zu Was bleibt

© Pandora

Nach seinem intensiven Psychodrama »Requiem« und dem Politthriller »Sturm« hat Hans-Christian Schmid einen kleinen, leisen Film vorgelegt, der in den Mikrokosmos einer bürgerlichen Familie taucht

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»Home for the Weekend« heißt der neue Film von Hans-Christian Schmid mit seinem gut gewählten internationalen Titel, und so harmlos wie dieser Titel klingt, beginnt auch der Film. Marko Heidtmeier (Lars Eidinger) lebt in Berlin und trifft sich mit seiner Exlebensgefährtin Tine, mit der er einen Sohn hat. Sie übergibt ihn ihm, und man merkt an ihren Vorwürfen wegen seiner Unpünktlichkeit die Anspannung, die über dieser Beziehung liegt. Marko nimmt seinen Sohn Zowie (Egon Merten) mit nach Hause zu seinen Eltern, als »48-Stunden-Spaß-Daddy«, wie er einmal sagen wird, irgendwo in der Gegend bei Bonn und Köln. Im Zug lernen sie zufällig Ella kennen, die Freundin seines jüngeren Bruders Jakob (Sebastian Zimmler), der sie am Bahnhof abholen wird. Marko ist Schriftsteller, ein Mittdreißiger, der noch nicht so genau weiß, wo er hinwill.

Was wie ein Prolog anmutet, führt doch schon das Thema dieses Films ganz beiläufig ein: die Lebenslügen, die zum Auseinanderbrechen dieser Familie führen werden. Der Vater, Günter (Ernst Stötzner, die große schauspielerische Überraschung dieses Films), hat eingeladen, er will den Ausstieg aus seinem offensichtlich gut gehenden Verlag verkünden, weil er sich einem Buchprojekt widmen will. Denn Geld spielt keine Rolle in diesem Elternhaus, wie man an dem Bungalow, der zum Zeitpunkt seines Baus in den Siebzigern wahrscheinlich als eine architektonische Meisterleistung galt, und seiner Inneneinrichtung merkt. Günter ist ein Machertyp, irgendwie das heimliche Kraftzentrum dieses Films, ein Mann der Generation, die die Studentenbewegung gesehen haben müsste und dann doch in die Bürgerlichkeit abgetaucht ist, ein sympathischer Patriarch, den seine Söhne auch mit dem Vornamen anreden dürfen.

Aber beim Abendessen stiehlt ihm Gitte (Corinna Harfouch) gewissermaßen die Schau. Sie habe auch etwas zum Feiern, sagt sie, denn sie habe vor Monaten die Tabletten abgesetzt, die sie seit Jahrzehnten wegen ihrer Depression nehme; es gehe ihr gut, und ein Gläschen könne auch nicht schaden. Marko verteidigt seine Mutter, Jakob befürchtet eine Zusammenbruch. »30 Jahre verheiratet, 30 Jahre mit meiner Krankheit«, sagt sie einmal: Gitte ist so etwas wie das Opfer dieser Familie, und sie wird auch zum Katalysator für ihren Zusammenbruch. Denn das Idyll, das dieser Bungalow suggeriert, ist brüchig. Es gibt im Spiel von Corinna Harfouch nicht die leiseste Andeutung einer psychischen Krankheit, sie spielt diese Gitte vollkommen »normal«.

Der Film spielt zum großen Teil im elterlichen Bungalow mit seinen großen Glasfronten, ein Kammerspiel im wortwörtlichen Sinn, ein Experimentierkasten der Gefühle und der Schuld. Hans-Christian Schmid hatdieses family piece meisterhaft präzise und durchdacht (Drehbuch: Bernd Lange, der auch schon die Bücher zu »Requiem« und »Sturm« schrieb) in Szene gesetzt; er erklärt nicht viel, aber man merkt, wie die Vergangenheit immer wieder in die Gegenwart reicht. Einmal stößt Jakob seinen Bruder zu Boden, und man kann sich vorstellen, dass dieser Stoß nur die Spitze einer langen Auseinandersetzung zwischen den beiden Brüdern war. In der vielleicht zentralen Szene dieses Films, einem äußerst gekonnten und doch ganz alltäglich wirkenden Stück Mise en Scène, sitzt Marko am Klavier und klimpert so vor sich hin, bis er zu dem Charles-Aznavour-Chanson »Du lässt Dich geh’n« findet, in das Gitte sofort einstimmt. Nun ist der Text dieses Liedes, das übrigens schon Godard in »Eine Frau ist eine Frau« verwendet hat, vielsagend genug (»Seit Wochen leb ich neben dir und fühle gar nichts neben mir«). Auch Günter, dieses Alphamännlein, lässt es sich nicht nehmen und singt mit: eine eigentlich bewegende Familienszene, die aber ganz unaufdringlich darauf hinweist, woran diese Familie auch leidet.

Als Jakob, der um die Ecke wohnt, vom Joggen an seinem Elternhaus vorbeikommt, findet er es offen vor, obwohl seine Mutter zu Hause ist, auch ein Hinweis, dass der Schutz durch die Familie und das Aufgehobensein darin nicht mehr gegeben sind. Jakob ist der Bürgerlichere der beiden Brüder, ein Zahnarzt, der aber mehr als sein älterer Bruder an seinem Vater leidet, der ihm die Praxis finanziert hat und einen Rettungsversuch unternimmt, als er erfährt, dass Jakob pleite ist.

Die Verhältnisse, die Dynamik und die Rituale in einer Familie werden sich nie verändern, sagt der Subtext in »Was bleibt«. Es braucht einen Einschnitt. Und so steuert dieser eigentlich ganz undramatische Film auf eine Katastrophe zu: Gitte verschwindet, man findet ihren R4 am Waldrand. Was mit ihr passiert ist, klärt der Film nie auf. Vielleicht ist sie aus ihrer Betäubung erwacht und will einfach nur ihr Leben selbst bestimmen.

Es ist ein skeptischer Blick, den Hans-Christian Schmid auf die Instanz Familie wirft. Nach dem Weggang der Mutter fügt sich irgendwie alles. Was auch nichts anderes heißt, als dass es zur Befreiung den Zusammenbruch dieses Hexenkessels aus Gefühlen, Ängsten und Schuld braucht.

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