Kritik zu Tristia – Eine Schwarzmeer-Odyssee

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2014
Original-Titel: 
Tristia: A Black Sea Odyssey
Filmstart in Deutschland: 
19.03.2015
L: 
98 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Auf seiner dokumentarischen Reise entlang der Schwarzmeerküste zeichnet der Dokumentarfilmer Stanislaw Mucha ein eigenwilliges Sittenbild von der Schnittstelle zwischen Europa und Asien

Bewertung: 3
Leserbewertung
3
3 (Stimmen: 2)

Welche Länder liegen am Schwarzen Meer? Der Blick in einen alten Westemann-Schulatlas von 1969 hilft hier nicht weiter. Selbst die aktuelle Version von Google Maps ist nicht erhellend. Denn eines der sieben Länder, die Stanislaw Mucha auf seiner 7 000 Kilometer langen Filmreise entlang der Schwarzmeerküste passiert, ist international nicht anerkannt und daher auf offiziellen Landkarten nicht verzeichnet. Doch in dieser modernen Odyssee geht es weniger um Geografie oder Politik im engen Sinn. Muchas Reise ist eine filmische Enzyklopädie des Unscheinbaren. An Ovids titelgebendem Klagelied »Tristia« arbeitet der Film sich nur indirekt ab. Die griechische Sagenwelt fungiert als McGuffin, es geht nicht um akademisches Wissen. Anstelle von Kulturwissenschaftlern und Historikern kommen Menschen am Wegrand zu Wort, denen der Überlebenskampf ins Gesicht geschrieben ist. Sie posieren flüchtige Momente lang vor der Kamera und werden in vermeintlich banale Small Talks verwickelt, die nie länger als zweieinhalb Minuten dauern.

Dank dieser stakkatoartigen Form liegt der Akzent auf der zuweilen sehr frechen Montage. Dabei sprühen immer wieder seltsame poetische Funken. Eine ukrainische Frau lobpreist in einem selbst geschriebenen Gedicht das Schwarze Meer. Dann, Schnitt, kommt ein laut wieherndes Pferd um die Ecke. Später zeigt Mucha das imposante Denkmal einer jener schwarzen Amazonen, die gemäß der griechischen Mythologie an der nördlichen Küste der heutigen Türkei lebten. Im nächsten Moment laufen Frauen durchs Bild, die so schwarz sind wie die Amazone – nur voll verschleiert.

Berühmte Kulturdenkmäler bleiben derweil auf signifikante Weise stumm. Während man im Hintergrund die berühmte Treppe von Odessa sieht, gilt die Aufmerksamkeit einem alten Mann, der vor diesem cinephilen Monument ein Gedicht aufsagt. Aus dem Off fragt der Filmemacher wie ein unbedarfter Tourist geradeheraus nach den vermeintlich banalen Dingen. Frauen aus Abchasien sollen erklären, warum es 2008 zum Krieg gegen Georgien kam. Die Betroffenheit in ihren Antworten steht im frappierenden Gegensatz zu einer Sprachlosigkeit – über die der Film sich nicht lustig macht. Mit spitzbübischem Charme gibt Mucha Einblicke in eine Welt, in der die Uhren anders ticken.

In manchen Episoden überwiegt leider ein Hang zur Elendsfolklore und zur Ausstellung des Skurrilen. Dass der Regisseur erhebliche Schmiergelder beim Passieren der Grenzen zahlen musste, hätte er vielleicht thematisieren sollen. Dennoch überzeugt der Film. Mucha unterläuft das Osteuropaklischee, indem er es mit seiner rauen Poesie bestätigt. Der gelungene Wechsel zwischen der Musik zufällig angetroffener Akkordeonspieler und melancholischen Gitarrenklängen hält das grob gestrickte Bilderpatchwork zusammen. Auf dieser nachdenklich stimmenden Rundreise gelingen ungewöhnlich faszinierende Bilder – für die das Wort »schön« allerdings nicht immer ganz treffend ist.

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