Kritik zu Tommaso und der Tanz der Geister

© Neue Visionen Filmverleih

Abel Ferrara hat ein Stück Autofiktion gedreht – Willem Dafoe spielt eine Art Ferrara-Doppelgänger, der in seinem neuen Leben mit neuer Frau und Tochter in Rom erst Fuß fassen muss

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Mit seiner jüngeren Frau Nikki und der dreijährigen Tochter Deedee lebt der Filmregisseur Tommaso in Rom, dem Nabel der Alten Welt. Doch das mit dem Familienvaterdasein hatte er sich irgendwie anders vorgestellt ­– harmonischer, befriedigender, leichter. Stattdessen hat die Frau immer wieder Vorstellungen, die sich mit seinen nicht decken, und das Kind wacht natürlich ausgerechnet dann auf, wenn es zwischen ihnen beiden endlich mal wieder zur Sache gehen soll. Was es auch nicht einfacher macht: Hinter Tommaso liegen wilde Zeiten, lange galt er als Enfant terrible der Underground-Szene; inzwischen allerdings besucht er regelmäßig AA-Meetings und tauscht sich mit jenen aus, die gleichfalls mit Süchten kämpfen. Zu alledem die Fremde; seinem Namen zum Trotz nämlich ist Tommaso in den USA geboren und aufgewachsen, in New York, um genau zu sein, dem Nabel der Neuen Welt. Und Italien ist ihm, obzwar dort die Wiege seiner Vorfahren stand, ein unbekanntes Land und Italienisch eine Sprache, die er erst noch lernen muss. Selbst in seinem neuen Zuhause fühlt er sich mitunter ausgeschlossen, wenn etwa seine Frau mit der Tochter in ihrer Muttersprache redet, von der er nicht ein Wort versteht.

Von wem ist hier eigentlich die Rede? Von der Filmfigur Tommaso? Oder von Abel Ferrara, dem Regisseur (und Drehbuchautor) des Films, dem diese Figur den Titel gibt? Oder gar von dem Schauspieler Willem Dafoe, der diesen Tommaso in Abel Ferraras »Tommaso« darstellt? Die Frage nach der Einwirkung der Wirklichkeit auf die Erfindung stellt sich insofern mit Nachdruck, als sowohl Ferrara als auch Dafoe ihre Zelte seit einiger Zeit (auch) in Rom aufgeschlagen haben, dort mit jüngeren Frauen leben und miteinander befreundet sind. Vollends zur Dreifaltigkeit verdichtet sich die Personalie Tommaso-Abel-Willem, wenn man bedenkt, dass Ferraras Frau Cristina Chiriac den Part der Nikki übernommen hat und in jenem der kleinen Deedee die gemeinsame Tochter Anna Ferrara agiert. Einer der Drehorte ist zudem die Wohnung der Ferraras und wenn Dafoe zum Einkaufen und anschließend auf einen Espresso geht, dann ist das dokumentarisch gefilmt.

Da spannt sich also ein gehörig flirrendes Unschärfefeld zwischen Realität und Fiktion auf – und Tommaso heißt jener, der in ihm zu navigieren versucht, auch nicht umsonst. Denn etymologisch wurzelt der Name Thomas in dem aramäischen Wort für Zwilling. Auch der ungläubige Thomas aus dem Neuen Testament gesellt sich herbei, jener der zwölf Apostel, der von der Auferstehung Jesu erst überzeugt war, nachdem er seinen Finger in die Wunde in dessen Seite gesteckt hatte. Tommaso also als ein Stellvertreterzwilling, ein Doppelgänger, der die Ungläubigkeit seines Schöpfers angesichts dessen eigener neuer Realität widerspiegelt. Der staunende Zeuge einer unwahrscheinlichen Auferstehung aus der Hölle des Exzesses, hier: der Rettung aus dem Drogensumpf.

Ferrara sei, so heißt es, mittlerweile Buddhist geworden. Also muss er seine Helden nicht mehr verdammen, er flicht sie aufs Rad der Wiedergeburt, das die verschiedenen Ebenen der Wahrheit von »Tommaso« ineinander mahlt.

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