Kritik zu Suspiria

© Amazon Studios/Capelight Pictures

Ein Remake von Dario Argentos kultigem Fiebertraum? Das scheint eine ganz schlechte Idee zu sein. Doch ausgerechnet Luca Guadagnino ist nach seiner sanft-subtilen Liebesgeschichte »Call Me By Your Name« eine völlig eigenständige, nicht weniger exzessive Version des Horrorthrillers gelungen

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Eine »Coverversion« hat Tilda Swinton diese Neuverfilmung genannt, und vielleicht ist dies tatsächlich das passende Wort für Guadagninos Anverwandlung von Argentos Geschichte um eine Ballettschülerin aus den USA, die in Deutschland in einer Tanzakademie in okkulte Machenschaften gerät. Man spürt, dass der neue Film ein ­Herzensprojekt ­Guadagninos ist, wie viel Energie und Ambition er hineingelegt hat. Die lang­jährige Hege und Pflege, bevor sich eine Möglichkeit zur Realisierung ergab, mag einer der Gründe sein, warum es ein so ­eigenes Gewächs geworden ist.

Schauplatz des neuen »Suspiria« ist nicht das provinzielle Freiburg wie im Original, sondern West-Berlin im Herbst des Jahres 1977 – also jenem Jahr, in dem Argento seinen Film veröffentlichte. Die nicht wirklich lang zurückliegende Nazizeit, die Teilung Deutschlands, die Studentenbewegung und dann ganz akut der »Deutsche Herbst« mit Schleyer-Entführung, Entführung der Landshut, Tod der in Stammheim inhaftierten RAF-Terroristen – all das bildet nicht nur einen nervösen Hintergrund für den Filmplot. Die Verwerfungen deutscher Geschichte fließen in mehrfacher Weise direkt in die Story um okkulte Macht und Manipulation ein. Das kann man überfrachtet, in manchem Punkt plakativ oder auch geschmacklos finden. Guadagnino stellt es aber so kühn wie klug an, dass man sich der Faszination der vielfältigen Resonanzen zwischen Plot und Politik nur schwer entziehen kann.

In 35-mm-Bildern von zurückhaltender, eher gedeckter Farbigkeit und in sechs ­Kapitel plus einen Epilog unterteilt, legt »Suspiria« zunächst eine gewisse Strenge an den Tag, arbeitet mit suggestiven Stilismen und typischen Genremotiven. Vom jederzeit herrschenden visuellen Exzess bei Argento grenzt er sich ab.

Das geteilte Berlin, in das die ehrgeizige junge Tänzerin Susie Bannion aus Ohio kommt, ist dann auch überwiegend grau, bisweilen fällt etwas Schnee. Die Helena-Markos-Compagnie residiert direkt an der Mauer, über dem Art-déco-Portal prangt lediglich: TANZ. Susies Vortanzen verläuft glänzend, sofort wird sie aufgenommen und zieht in die Akademie ein, die zugleich eine Art Internat für die Tänzerinnen ist. Dass die rein weibliche Leitung der Schule nicht nur Kunst im Schilde führt, das wurde bereits in einer Eingangsszene angedeutet, in der eine andere Elevin, Patricia, verzweifelt und verwirrt bei einem alten Psychiater auftaucht und die Leiterinnen der Hexerei bezichtigt, bevor sie spurlos verschwindet. Während Susie in der Hierarchie der ­Compagnie weiter aufsteigt und bald die Hauptrolle im Stück »Volk« (!) erhält, geht jener Psychiater Dr. Klemperer Patricias ­Anschuldigungen auf den Grund. Ihr Tage­buch voller rätselhafter Beobachtungen, Skizzen und Gedanken rund um drei mächtige »Mütter« lässt ihn nicht los. Nach und nach erfährt er, welche schrecklichen Geheimnisse tatsächlich in den verborgenen Räumen der Akademie lauern.

Der Weg bis zum wahrhaft haarsträu­benden, sehr blutigen Finale des Films ist fast zweieinhalb Stunden lang, doch so dicht erzählt, inszeniert, gespielt und nicht zuletzt getanzt, dass kaum Langeweile aufkommen kann. Der hypnotische, düster-elegische Score des Radiohead-Sängers Thom Yorke trägt einen großen Teil dazu bei, ebenso die Choreographien von Damien Jalet, die, inspiriert von der Arbeit Pina Bauschs, den Tanzszenen eine primitive Kraft und ­Aggressivität verleihen, deren Kulmination in einem Hexensabbat nur folgerichtig scheint. Bereits eine frühere Szene, sicher eine der verstörendsten des Films, zeigt, wie Susies ungestümer, erotisch aufgeladener Tanz in einem Raum eine destruktive Fernwirkung auf den Körper einer Tänzerin in einem anderen Raum ausübt.

Mit parallelisierenden Szenen, Spiegelungen und fast unmerklichen, doch merkwürdigen Details im Bildhintergrund oder auch beiläufig-rätselhaften Gesten erzeugt »Suspiria« ein wachsendes Unbehagen, das empfänglich für die vielen Ambivalenzen und thematischen Verzweigungen des Drehbuchs von David Kajganich macht: Es reflektiert die Macht von Müttern zwischen Fürsorglichkeit und Unterdrückung, spiegelt den Feminismus jener Jahre im Hexenzirkel der Compagnie als autonome, ja revolutionäre Kraft in einer kaputten männlichen Gesellschaft – in einem Film, der zudem fast ausschließlich mit Frauen besetzt ist. Es stilisiert zudem den Tanz zum okkulten Ritual, zum spirituellen Kampf im Streben nach etwas Höherem. Und der politische Kampf – müssen da vielleicht für höhere Ideale auch Opfer gebracht werden? Menschenopfer? Der rote Stern der RAF und das Pentagramm der Okkultisten kommen sich in »Suspiria« jedenfalls erstaunlich nah.

All diese Beziehungen legt der Film weniger durch Logik als durch Analogien nahe, was ihn zu einer recht hermetischen Angelegenheit machte, öffnete er sich nicht immer wieder zur Filmgeschichte. Seine nervöse bis hysterische Energie etwa erinnert an einen anderen Horrorfilm im geteilten Berlin: Andrzej Zulawskis Possession, die symbolisch aufgeladenen Traumszenen an Bergman oder Buñuel. Doch auch auf ­Fassbinder verweist manches, nicht nur ­wegen der Besetzung einer zentralen Rolle mit Ingrid Caven.

Ebenbürtige Partnerinnen in der Akademieleitung hat Caven in Angela Winkler und Tilda Swinton, die hier als kreativer Kopf der Compagnie eine enorm gefährliche Kraft ausstrahlt, zugleich aber etwas Trauriges, Gebrochenes – eine weitere faszinierende Leistung dieser Ausnahmeschauspielerin.

So überaus beziehungsreich, so hemmungslos und heftig: »Suspiria« muss polarisieren. Er ist auf eine Weise krude und enervierend, die einem die Ablehnung leicht macht. Doch er besitzt auch eine Kühnheit, die man nicht allzu häufig erlebt, schon gar nicht im Remake eines Klassikers. In einem Okkultismusplot um Macht und Manipulation findet er den Wahnsinn der deutschen Geschichte wieder und hält ihm den Genre-Zerrspiegel vor.

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