Kritik zu Slow West

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Spielt in Colorado, ist aber in Neuseeland gedreht: Der britische Musiker John Maclean legt als Spielfilmdebüt einen hochkarätig besetzten Western vor, der das Genre zugleich dekonstruiert und wiederbelebt

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Wie Ethan Edwards aus John Fords berühmtem Western »The Searchers« (Der schwarze Falke) ist auch Jay Cavendish (Kodi Smit-McPhee) ein Suchender. Er ist besessen von Rose, der jungen Frau, in die er sich in seiner schottischen Heimat verliebt hat. Und wie der von John Wayne verkörperte Exsoldat und Killer denkt auch der 16-jährige Neffe eines britischen Aristokraten nicht einen Moment lang daran aufzugeben, bevor er Rose gefunden hat. Beide formen sich die Welt nach ihren eigenen Vorstellungen und sehen nur, was sie sehen wollen, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Während Ethan Edwards von seinem Hass regelrecht zerfressen wird, erfüllt eine von keinem Zweifel angekratzte Liebe Jay Cavendish.

Das Spielfilmdebüt des Briten John Maclean beginnt so verträumt, wie es sein Titel »Slow West« verspricht. Für einen kurzen, aber wundervollen Moment bricht Maclean mit allen klassischen Westernvorstellungen. Jay liegt auf dem Rücken im Gras und blickt hoch zum nachtblauen Himmel. Mit seiner Pistole zielt er auf einzelne Sterne, die dann hell aufstrahlen. Der kleine Prinz im langsamen Westen, eine bezaubernde Fantasie, die natürlich nicht von Dauer sein kann. Es grenzt schließlich schon an ein Wunder, dass es dieser naive, von seinen Gefühlen verblendete Teenager überhaupt unversehrt bis ins Colorado Territory geschafft hat.

Rauchschwaden ziehen durch den Wald, in den es Jay auf seiner Suche verschlagen hat. Es ist das Jahr 1870, und abtrünnige Soldaten streifen marodierend durch das Land. Einige von ihnen haben gerade ein Lager der Sioux in Brand gesetzt. Nun steht der Anführer dieser Mörderbande Jay gegenüber. Doch bevor die Situation für den jungen Träumer eskalieren könnte, taucht der wortkarge Drifter Silas Selleck (Michael Fassbender) auf und erschießt die fahnenflüchtigen Killer. Selbst das ist noch eine Szene wie aus einem Märchen. Silas' Auftritt hat etwas Unwirkliches: ein Outlaw und Kopfgeldjäger als Schutzengel für diesen schottischen Parsifal. Gegen ein entsprechendes Honorar will Silas sich um Jay kümmern, ihn beschützen und auf seiner Suche begleiten. Dass Rose (Caren Pistorius) und ihr Vater steckbrieflich gesucht werden, verschweigt er seinem Schützling natürlich. So erhofft er sich einen Vorteil gegenüber Payne (Ben Mendelsohn) und seinen Leuten, die auch hinter dem beträchtlichen Kopfgeld her sind.

Von den Mythen des Westerns war schon in den 70er Jahren nicht mehr viel übrig. Clint Eastwood, Robert Altman, Sam Peckinpah und Michael Cimino mussten nur das Werk vollenden, das John Ford und Budd Boetticher längst begonnen hatten: der Westen Amerikas, ein einziger Scherbenhaufen. Durch diese Trümmer lässt nun John Maclean seine gegensätzlichen Helden streifen. Wo immer Jay und Silas hinkommen, zerbricht diese von Gewalt gezeichnete Welt noch ein bisschen mehr: In einer Handelsstation geraten die beiden Suchenden mitten in einen auf grausige Weise misslingenden Überfall. Ein junges Paar aus Schweden weiß in seiner Not keinen anderen Weg mehr, als sich mit Waffengewalt zu nehmen, was es zum Überleben braucht. Am Ende dieser Episode ist das Paar genauso tot wie der Händler, den sie ausrauben wollten.

Macleans Colorado Territory, dessen Wälder und Prärien, Flüsse und Berge der junge Regisseur in Neuseeland gefunden hat, könnte ein Paradies sein, genau das Land, von dem Jay geträumt hat. Doch die Menschen, die hier mordend und brandschatzend eine Spur der Verwüstung ziehen, haben es in einen Vorhof der Hölle verwandelt. Der Kontrast ist an sich schon gewaltig, aber Maclean verstärkt ihn noch einmal. Seine in kleine Episoden und kurze Zwischenspiele zerschlagene Erzählung wirkt in einem Moment märchenhaft und im nächsten zutiefst zynisch. Er zertrümmert das Genre noch ein weiteres Mal und bekräftigt doch dessen großes Versprechen auf eine Neugeburt der Zivilisation. Damit ist »Slow West« genauso widersprüchlich wie die Welt, von der Maclean voller Ironie und doch mit einem geradezu heiligen Ernst erzählt. Der Western ist tot, es lebe der Western.

...zum Interview mit Regisseur John Maclean

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