Kritik zu Sick of Myself

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Er wird Künstler, was macht sie? Kristoffer Borgli will in seinem Debütfilm durch Body-Horror-Elemente den narzisstischen Zeitgeist und den Druck zur Selbst­optimisierung entlarven

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Der junge norwegische Filmemacher Kristoffer Borgli kreiert in seinem Langfilmdebüt »Sick of Myself« so etwas wie den bösen Zwilling zur unsteten Hauptfigur aus »Der schlimmste Mensch der Welt« seines Landsmanns Joachim Trier. Auch Borglis Film folgt einer unzufriedenen jungen Frau, die im kreativen Milieu der Großstadt Oslo Fuß zu fassen versucht. Doch wo Renate Reinsves Julie noch als etwas kindische, verträumte Protagonistin erschien, die im Laufe des Plots zur Vernunft kam, führt »Sick of Myself« mit Signe eine Hauptfigur ein, die unter Einfluss der Instagram-induzierten Geltungssucht zum regelrechten Monster wird. Borglis brillantes schwarzhumoriges Drehbuch ist dabei die perfekte Vorlage für Kristine Kujath Thorp, die in der Hauptrolle eine teilweise beängstigende Performance liefert. Thorp balanciert gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen beeindruckender Chuzpe und hoffnungslosem Narzissmus.

Zu Beginn des Films wohnt die Mittzwanzigerin Signe mit ihrem Freund Thomas (Eirik Sæther) zusammen, dessen Stern in der Osloer Kunstszene gerade zu steigen begonnen hat – sehr zu Signes Verdruss, weiß sie doch tief im Inneren, dass auch in ihr eine große Künstlerin schlummert. So kann sie ihren Neid auf die Anerkennung, die Thomas von den prätentiösen Künstlerkollegen und Galeristen bekommt, zunehmend schwerer unterdrücken. Ein unglücklicher Zufall bringt Signe schließlich auf die drastische Idee, wie auch sie zu Ruhm kommen könnte: Als sie geistesgegenwärtig ein Unfallopfer rettet, sind kurzzeitig alle Augen auf sie gerichtet. Die intensive, aber leider nur kurze Zeit im Rampenlicht will Signe nun um jeden Preis reproduzieren. Nach einigen urkomischen Fehlversuchen bringt ein dramatischer TV-Nachrichtenbericht schließlich den zündenden Einfall. Für ihren Plan muss Signe nur noch einen Ex-Freund aufsuchen, der sich mit illegalen Substanzen auskennt …

Die Details des folgenden schaurigen Selbstversuchs hier preiszugeben, hieße, den Film einiger seiner besten Überraschungsmomente zu berauben. Am besten lässt man sich auf »Sick of Myself« ohne große Vorkenntnisse ein – allerdings mit der ernst gemeinten Warnung im Hinterkopf, dass sich der Film langsam von einer Sozial­komödie zum drastischen Body-Horror entwickelt. Man mag es geschmacklos finden, wie Regisseur Borgli im Verlauf des Films die wortwörtliche Auflösung eines weiblichen Körpers inszeniert. Zweifellos steckt dahinter aber die ernste Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Druck, den die Maxime der ständigen Selbstverwirklichung und -verbesserung auf junge Frauen ausübt. Mit Signe inszeniert der Film dabei eine komplexe Figur, deren egozentrisches Verhalten uns manchmal geradezu abstößt; gegen Ende aber erzeugen Thorp und Borgli wieder durchaus Sympathie für ihre Protagonistin. Gerade die »Millennials« im Publikum dürften sich in Signes zwanghafter Selbstdarstellung mit der verzweifelten Hoffnung auf Anerkennung wiederfinden – wenn vielleicht auch nur widerwillig.  

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