Kritik zu Patrick

© Real Fiction Filmverleih

Anhand eines komplexen Falles schildert Gonçalo Waddington die verheerenden Auswirkungen von Kindesmissbrauch

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Patrick schweigt. Auf die Fragen der französischen Ermittler reagiert der 20-Jährige, der seine Übergriffe auf anscheinend unter Drogen gesetzte junge Frauen gefilmt und ins Netz gestellt hat, mit trotziger Gleichgültigkeit. Selbst als sie ihn mit seiner Vergangenheit konfrontieren und ihm so einen Ausweg bieten, verharrt er in seinem aggressiven Schweigen. Vor mehr als zehn Jahren ist er, der eigentlich Marío heißt, aus einer kleinen Stadt in Portugal entführt worden. Das macht ihn in den Augen der Justiz selbst zu einem Opfer. Er könnte seine eigenen Peiniger belasten und sich so selbst entlasten. Aber auch Marío bleibt weitgehend stumm. Auch nach seiner Rückkehr in das Haus seiner Mutter öffnet er sich nicht. Er schweigt weiter über das, was ihm angetan wurde, und das, was er anderen angetan hat.

Wie sein Protagonist strahlt auch »Patrick«, das Regiedebüt des portugiesischen Schauspielers Gonçalo Waddington, etwas Abweisendes aus. Waddington macht es einem nicht einfach. Aber wie könnte es angesichts dieser Geschichte auch einfach sein? Was genau mit dem Jungen nach seiner Entführung geschehen ist, bleibt offen, ebenso wie die Frage, wie weit Patrick bei seinen Übergriffen gegangen ist. In Momenten der Gewalt wenden Waddington und sein Kameramann Vasco Viana den Blick ab und verstärken damit noch deren Wirkung.

So wie ihn Hugo Fernandes spielt, sprengt dieser junge Mann alle simplen Schemata von Opfer und Täter. Er ist ohne Frage für seine Taten verantwortlich, und er weiß genau, was er tut. Doch zugleich vermittelt Fernandes' stoisches, verschlossenes Auftreten einem auch, dass der zu seiner Familie zurückgekommene Marío ein Gefangener ist. Ein Riss geht durch diesen 20-Jährigen und spaltet sein Leben. Etwas von dem unschuldigen Fußball spielenden Jungen, der damals entführt wurde, steckt noch in ihm. Es offenbart sich in ganz kurz aufblitzenden Gesten der Zärtlichkeit gegenüber seiner Mutter und seiner Cousine Marta. Aber es ist Patrick, der seine Wut und seinen Hass nur mit größter Anstrengung unter einer Fassade der Reglosigkeit verstecken kann, der den inneren Kampf zu gewinnen scheint.

Gonçalo Waddington und seinem Hauptdarsteller Hugo Fernandes gelingt Bemerkenswertes. Sie erzählen von Kindesmissbrauch und seinen lebenslangen Nachwirkungen ohne jeden Sensationalismus und auch ohne diese meist falsche Sentimentalität, die so typisch für viele Fernsehproduktionen ist. Es entsteht das Porträt eines Missbrauchten, das alle einfachen Antworten verweigert. Man bleibt die gesamte Zeit über auf Distanz zu Patrick, kommt jedoch nicht von ihm los. Da Waddington keinerlei Erklärungen liefert, ringt man fortwährend mit den eigenen Einschätzungen und Urteilen. Der Wunsch, Patrick zu verstehen, bleibt letzten Endes unerfüllt. Aus dieser Unschärfe, diesem Wissen, dass es unmöglich ist, in seinem Innersten wie in einem Buch zu lesen, erwächst eine andere Form von Verständnis, in dem es keinen Raum für Illusionen mehr gibt.

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