Kritik zu Nobody

© Universal Pictures

Der Titel seines Spielfilmdebüts, »Hardcore Henry«, war bereits Programm. In seinem neuen Film macht Ilya Naishuller aus Bob Odenkirk einen echten Actionhelden

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Eine Weile lang könnte man meinen, in »Nobody« würde die Geschichte vom Durchschnittstypen erzählt, der sich mit Heldenbildern messen muss. Die Geschichte vom Normalo, der kein Zeug zum Macho hat und, in Bedrängnis gebracht, nicht zu den Waffen, sondern zu den Worten greift. Ein Schwächling also in den Augen der Alphamänner, zumal in den USA, wo jeder ein Gewehr im Schrank hat und den Frontierman in den Genen. Weil das so ist, wird Hutch Mansell sogar von dem Polizisten, der den Einbruch in sein properes Vorstadthäuschen zu Protokoll nimmt, mit Spott bedacht: Warum hat er den Ganoven nicht eins mit dem Golfschläger übergezogen? Der Ordnungshüter versteht es nicht, ganz zu schweigen von Nachbar, Boss, Kollege, Frau und Sohn. Hutch hat's vermasselt, Hutch ist ein Weichei.

Da der arme Mann von Bob Odenkirk gespielt wird, dessen Physiognomie zwar nicht eben sonderlich athletisch anmutet, der aber – das wissen wir seit »Breaking Bad« – nicht bloß komödiantisches Talent besitzt, sondern auch über schauspielerisches Potenzial zur charakterlichen Vertiefung verfügt, kann man sich nun gut in Erwartung eines Dramas einrichten, in dem tradierte Projektionen von Männlichkeit an Gegenwart und Praktikabilität gemessen werden. Und Odenkirks Hutch als leuchtendes Vorbild der Zivilisiertheit unter brutalisierten Neandertalern am Ende rehabilitiert wird.

Es kommt dann aber deutlich anders. Was jene sich bereits denken können, denen zu Ilya Naishuller einfällt, dass derselbe 2013 mit dem Ego-Shooter-Musikvideo »Bad Motherfucker«, das er für seine Rockband Biting Elbows inszenierte, im Internet für Furore gesorgt und dann 2015 mit seinem Spielfilmdebüt »Hardcore Henry« – der Titel ist Programm – nachgelegt hatte. Gut zu wissen auch, dass das Drehbuch zu »Nobody« auf das Konto von Derek Kolstad geht, den Autor der »John Wick«-Trilogie. Es ist also Essig mit Reflexion, stattdessen wird das Actionbrett aufgefahren und reichlich belegt. Knochen krachen, Blut spritzt, aus allen Rohren ballert es, hier geht das eine in Flammen auf, dort explodiert das andere, Reifen quietschen, Fäuste schwingen, Zähne fliegen. Denn hart und hässlich geht es her, wenn man sich, und sei es auch nur aus Versehen, mit der russischen Mafia anlegt – mit Gusto am Diabolischen verkörpert von Aleksey Serebryakov.

Der eigentliche Besetzungscoup freilich ist Odenkirk, dem man den braven Familienvater sogar noch abnimmt, als er diesen längst gegen eine Schrumpf-Version des Liam Neeson-Rächers ausgetauscht hat; beziehungsweise eben nicht ausgetauscht, sondern an die Seite gestellt. Aus der resultierenden Ambivalenz der Figur, die dann zwischen dem sprichwörtlichen Niemand und jenem Actionman mit Decknamen Nobody schillert, erwächst dem spektakulären Zerstörungswerk, das Naishuller um ihn her entfesselt, letztlich sogar eine Art Bodenhaftung. Wer sagt, dass die Träume von supergeheimen Geheim-Revisoren sich nicht mit jenen der Bus-fahrenden Niemande messen können?

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