Kritik zu Mein Sohn

© Warner Bros. Pictures

Im Fahren durch Landschaften und Länder schwere Tragödien und ­verschüttete Probleme verarbeiten, das hat eine lange Tradition im Kino, der nun auch Lena Stahl in ihrem Spielfilmdebüt folgt

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Nach einer durchfeierten Nacht rollt Jason (Jonas Dassler) in Erinnerungen versunken auf dem Skateboard hinter einem Lastwagen durch die Stadt. Als der unerwartet abbiegt, kracht Jason frontal mit einem entgegenkommenden Auto zusammen. 

Nach den bangen Stunden vor dem Erwachen im Krankenhaus muss Jason neu lernen, zu laufen und zu leben. Jonas Dassler spielt ihn wie einen wilden Vogel, dem die Flügel gestutzt wurden. Jonas' rebellisch lebenshungriges Temperament mit herausfordernd blitzenden Augen und stachelig abstehenden, blonden Haarspitzen hat einen herben Dämpfer bekommen, den er nur langsam realisiert. Während er noch sorglos in die Zukunft schaut, auch gar nicht daran zweifelt, nach einer kurzen Pause seine Profi-Skater-Karriere wieder aufnehmen zu können, ist Anke Engelke als seine ­Mutter die auf Sicherheit bedachte Bedenken­trägerin. 

Wo ihm das Risiko das Gefühl gibt, lebendig zu sein, wird sie davon bedroht. Während der Sohn auf Ablösung drängt, sehnt sich die Mutter danach, die verlorene Verbindung zu ihrem erwachsenen Sohn wieder zu stärken. Sie ist entschlossen, ihn im klapprigen Familien-Volvo zur bestmöglichen Reha in die Schweiz zu fahren (die gerade in Nana Neuls »Töchter« auch schon das Ziel eines Familienklärungs-Roadmovies war), ihm ist das fast schon zu viel. Sie findet es nicht so schlimm, mal eine Nacht im großen Bett im selben Hotelzimmer zusammen zu schlafen, er flieht entsetzt ins Auto. Überrascht erfährt er, dass seine Mutter mal drauf und dran war, nach New York zu ziehen: »Ich war auch mal anders«, meint sie nachdenklich. »Vielleicht ist es auch mal ganz gut, Sachen nicht so totzureden oder totzudenken, einfach mal machen . . .« Immer wieder geht es auch um die unterschiedliche Wahrnehmung der Welt von Jugendlichen und Erwachsenen und um eine Annäherung zwischen den gegensätzlichen Positionen auf der Fahrt in einem engen Auto und bei der Rast in Restaurants, Hotelzimmern und einem Campingwagen.

Zündfunke für das Spielfilmdebüt von Lena Stahl war ihre eigene Erfahrung mit dem drohenden Verlust eines Kindes. Ihr Film ist also auch eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit der fragilen erzieherischen Balance zwischen beschützen und beengen, zwischen helfen und behindern, zwischen behütender Rücksicht und lähmender Angst. Die sonst vor allem für ihre natürliche Komik bekannte Anke Engelke spielt das mit einer mütterlichen Ernsthaftigkeit, die authentisch wirkt. Viel hat das auch mit dem dokumentarischen Gespür der Regisseurin zu tun, mit weitgehend chronologischem Dreh und einer Handkamera, die das Geschriebene und Geplante spontan und unmittelbar wirken lässt. Die gute Chemie zwischen den Mitgliedern des Teams und mit dem Hauptdarsteller Jonas Dassler wird Lena Stahl demnächst in einem gemeinsamen Serienprojekt weiterführen.

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