Kritik zu A Letter to David

© Mindjazz Pictures

2025
Original-Titel: 
A Letter to David
Filmstart in Deutschland: 
07.10.2025
L: 
74 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Der israelische Regisseur Tom Shoval wendet sich mit seinem Film gegen das Vergessen und die Ökonomie des Schreckens nach dem 7. Oktober 2023

Bewertung: 4
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Tom Shovals »A Letter to David« ist ein Dokument, entstanden aus der Verzweiflung. Ein filmischer Brief, adressiert an einen, der nicht erreichbar ist. Sein Adressat, der israelische Schauspieler David Cunio, wurde am 7. Oktober 2023 von der Hamas aus dem Kibbuz Nir Oz verschleppt. Seither fehlt von ihm jede Spur. Shoval hatte David und dessen Zwillingsbruder Eitan vor zwölf Jahren in seinem Spielfilm »HaNoar« (Jugend) als junge Männer inszeniert, die aus finanzieller Not ein orthodoxes Mädchen entführen, um Lösegeld zu erpressen. Und daran scheitern. Nun richtet Shoval eine filmische Botschaft an den Verschwundenen.

Die Form ist persönlich, beinahe intim: Archivaufnahmen vom Set von »HaNoar«, ein von Cunio zuvor gedrehtes Video, in dem er seinen Alltag im Kibbuz mit seiner Familie festhält, treffen auf die Stimmen von Angehörigen, die in der Gegenwart versuchen, seine Abwesenheit in Worte zu fassen. Das Wechselspiel von Kino und Realität, Vergangenheit und Heute verleiht dem Film eine eigentümliche Spannung: Hier das Bild eines »Davor«, dort die Leerstelle eines »Danach«.

Bemerkenswert ist dabei Shovals Verzicht auf Voyeurismus. In einer Medienwelt, die von Gewaltbildern übersättigt ist, entscheidet er sich, nicht das Grauen des 7. Oktober selbst zu zeigen, sondern seine Spuren: Stimmen, Geräusche, Erinnerungen. Diese ästhetische Zurückhaltung ist ein ethisches Statement. Der Film wehrt sich gegen die Ökonomie des Schreckens und beharrt darauf, dass Würde nicht durch Bilder zerstört werden darf.

Damit bewegt sich Shoval auf schwierigem Terrain. Das persönliche Porträt Davids gewinnt seine Kraft durch den Fokus auf den fehlenden Freund und dessen Familie. Gleichzeitig bleibt vieles ausgespart: die politischen Ursachen, die Eskalation der Gewalt, das Leid auf allen Seiten. Das hat ihm den Vorwurf eingebracht, einseitig zu wirken. Tatsächlich verweigert er die große Analyse. Nicht aus Ignoranz, sondern aus bewusster Entscheidung. »A Letter to David« will gar kein geopolitisches Panorama sein, kein Film über »den Konflikt«, sondern über einen einzelnen Menschen. Shoval riskiert damit Missverständnisse, aber er macht eine Haltung sichtbar: Inmitten kollektiver Katastrophen darf der individuelle Verlust nicht hinter Zahlen und Statistiken verschwinden, er plädiert vehement gegen das Vergessen. Gerade angesichts lautstarker propalästinensischer Proteste, die den Terror der Hamas und das Leid der israelischen Geiseln ignorieren.

Die politische Dimension ist dennoch in jeder Einstellung spürbar, aber Shoval entscheidet sich, sie nicht explizit auszuformulieren. Stattdessen überlässt er es dem Publikum, die Lücken zu füllen. Ein Brief, der seinen Empfänger womöglich nie erreicht, dafür ein noch nicht gänzlich polarisiertes Publikum umso mehr. Zur Weltpremiere auf der Berlinale im Februar solidarisierten sich auf dem roten Teppich Festivalleiterin Trisha Tuttle und andere Prominente aus der Filmbranche mit Cunio und den anderen Geiseln. Nun kommt Shovals Film in die deutschen Kinos, am 7. Oktober, dem zweiten Jahrestag der Terroranschläge der Hamas. Noch ist Cunios Schicksal unklar, noch gibt es einen Rest Hoffnung.

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