Kritik zu The Lesson

© Port au Prince

Zwischen Highsmith und Hitchcock: Ein angehender Schriftsteller soll als privater Tutor den Sohn eines berühmten Literaten schulen – nicht ahnend, was seine wahre Aufgabe ist

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Von den ersten Szenen an strahlt »The Lesson«, das Kinodebüt der fernseh­erfahrenen Britin Alice Troughton, eine selten gewordene Ruhe aus, in klar komponierten, hellen Bildern, die in ihrem prosaischen Stil zwischen Alltäglichkeit und Geheimnis changieren. Ein gut aussehender junger Mann fährt da auf dem Fahrrad zum Schwimmen und springt in einen See, gefilmt aus nüchterner Distanz; vielleicht aber auch so, als würde der Mann beobachtet. Auch der Schnitt, der diese ersten Szenen immer einen Augenblick früher beendet als erwartet, weckt Neugierde, ohne dass man wirklich wüsste, worauf.

Der junge Mann heißt Liam (Daryl McCormack) und ist ein angehender Schriftsteller, der sich seinen Lebensunterhalt als privater Tutor verdient. Sein neues Engagement führt ihn auf das Anwesen des berühmten britischen Schriftstellers JM Sinclair (Richard E. Grant), dessen Sohn Bertie (Stephen McMillan) sich für ein Literaturstudium in Oxford beworben hat. Da der Vater an den Fähigkeiten seines Sohnes zweifelt, soll Liam ihn auf die Aufnahmeprüfung vorbereiten – und zwar exklusiv. Er unterschreibt eine strenge Verschwiegenheitsklausel, zieht ins Gästehaus der vermögenden Familie und muss der Mutter, Hélène (Julie Delpy), täglichen Rapport über Berties Fortschritte geben. Was nur Hélène weiß: Liam ist ein großer Verehrer ihres Mannes und hat sogar seine Abschlussarbeit über dessen Werk geschrieben. 

Allerdings muss Liam sehr schnell feststellen, dass auch große Kunst nicht vor großer Tristesse schützt. In der Familie Sinclair herrscht eine Stimmung, die mit »toxisch« noch milde umschrieben ist. Der prominente Vater erweist sich als Narziss, der sadistisches Vergnügen daran findet, seine Familie mit verletzender Herablassung zu behandeln. Während Bertie sich Mühe gibt, seinem Vater in Sachen Arroganz nachzueifern, flüchtet Mutter Hélène in kühle, aber hilflose Distanziertheit. Man kann diese Figuren »klassisch« oder klischeehaft finden, jedenfalls ist es den sehr guten Darstellern zu verdanken, dass man nicht das Interesse an ihnen verliert, bevor die Dramatik etwas auf Touren kommt. 

Natürlich gibt es in dieser Familie ein Geheimnis, doch der Hauptteil des Films schildert die täglichen Situationen auf dem pittoresken Anwesen, deren Zeuge und Teilhaber Liam wird. Dabei versteht es Alice Troughton, trotz mangelnder äußerer Spannung eine ungreifbar geheimnisvolle Atmosphäre zu halten, die sich an Patricia Highsmith und Alfred Hitchcock orientiert (visuelle Referenzen inklusive); auch an die Londoner Woody-Allen-Filme mit ihrem ernsteren Mystery-Tonfall muss man denken. Dass das Niveau dieser Vorbilder nicht annähernd erreicht wird, liegt letztlich an den flachen Figuren sowie einer behäbigen Dramaturgie, die vor allem zum Finale hin clever und überraschend sein soll, tatsächlich aber unglaubwürdig konstruiert und dröge wirkt. Als kleine Lektion in Sachen Atmosphäre, und das ist kein vergiftetes Lob, funktioniert »The Lesson« dennoch gut.

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