Kritik zu Im Taxi mit Madeleine

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Aus seinem vierten gemeinsamen Film mit dem großen französischen Altstar Line Renaud macht Dany Boon eine Hommage nicht nur an die 94-Jährige persönlich, sondern an ihre ganze Generation

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Die meist furchteinflößende Figur in der Komödie »Willkommen bei den Sch'tis« (2008) war die gebieterische Mutter vom Postler Antoine. Mit vor Zorn funkelndem Blick nötigte diese Matrone Antoines neuen Kollegen aus dem Süden dazu, den stinkenden lokalen Käse zu essen. Dany Boon, der auch im zweiten »Sch'ti«-Spaß (2018) mit Line Renaud als Mutter-Sohn-Gespann auftrat, hatte ihr bereits in seiner ersten Regiearbeit, der turbulenten Komödie »Trautes Heim, Glück allein« (2006) eine Rolle gegeben. Ihr vierter gemeinsamer Film ist eine Hommage und wohl auch ein Abschiedsgeschenk für die 94-Jährige. Sie ist einer der langlebigsten französischen Stars, bekannt vor allem als große Volkssängerin, die seit dem Zweiten Weltkrieg die Säle füllte und deren Ruhm bis in die USA – wo sie etwa u. a. mit Dean Martin auftrat – reicht.

Das Tandem Boon / Renaud verbringt nun die meiste Zeit zusammen im Taxi. Line Renaud spielt eine alte Dame, die sich, nach einem letzten Blick auf ihr Haus in einem Vorort, quer durch Paris in eine Senioren­residenz chauffieren lässt. Ihr Fahrer Charles ist so gestresst, dass er kaum ein Wort hervorbringt. Doch der liebenswürdigen ­Madeleine gelingt es, ihn aus der Reserve zu locken. Spontan bittet sie Charles, einige Stationen ihrer Vergangenheit abzufahren.

Im Zickzackkurs über die Pariser Peripherie, die Seine und durch die Boulevards entfaltet sich in Madeleines Rückschau ein Leben voll brutaler Kurswechsel, in dem eine große Liebe zu entsetzlichem Kummer führte. Charles ist so perplex über ihre Erzählung, dass er seine eigenen Probleme – er droht, den Führerschein zu verlieren, und hat Schulden – vergisst. Und schließlich, ein Fall von »Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen«, wird er dazu gebracht, seine prekäre Existenz in einen größeren Zusammenhang einzubetten, sich von der Kurzsichtigkeit der Gegenwart auf die Weitsicht von ­Madeleines Lebenserfahrung einzuschwingen.

Das klingt nach Drama, doch die Tonart ist mehr meditativ als sentimental. Dany Boon verleiht seiner Rolle des gebeutelten Taxifahrers, der im dichten Verkehr hilflos herumschreit, ausnahmsweise keine komischen Züge, obwohl die Handlung nicht ohne Humor ist. Als Regisseur schafft er es stets, die Kurve zu kriegen: Die anfangs holprig wirkenden Rückblenden auf Madeleine als junge Frau gewinnen an Relevanz; ahnt man bald, worauf alles hinausläuft, so ist das Happy End doch dezent inszeniert. Die Feinfühligkeit, mit der Probleme des Alterns und der Abschied vom Leben behandelt werden, ist großartig. Natürlich wird in diesem Feelgood-Drama auch die kollektive Nostalgie angezapft, denn Madeleine / ­Renaud, einst so imposant und nun so sanft und gebrechlich, gehört zu den letzten lebenden Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs. Als ­Madeleine verkörpert sie die stille Tragik der durch die historischen Umwälzungen versehrten kleinen Leute und das Unglück der Frauen angesichts der Willkür der Männer. Doch die Zeiten änderten sich: Alles, so die unausgesprochene Botschaft, hätte noch viel schlimmer sein können.

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