Kritik zu Human Flowers of Flesh

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Slow Cinema: Eine Frau fährt mit ihrem Segelboot und einer fünfköpfigen männlichen Besatzung durchs Mittelmeer, auf den Spuren der Fremdenlegion und ihrer Legenden

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Das Meer übt unverkennbar eine Faszination aus auf Helena Wittmann. Bereits das Debüt der Hamburger Regisseurin, der Experimentalfilm »Drift« über eine Frau, die den Atlantik überquert, war überwiegend auf offener See gedreht, die Kamera von der Bewegung des Wassers bestimmt. Ihr zweiter Langfilm ist nun im mediterranen Raum angesiedelt, erneut mit einer reisenden Protagonistin im Mittelpunkt. 

Ida ist Besitzerin eines Segelboots, auf dem sie mit einer Besatzung von fünf Männern durch das Mittelmeer fährt, sie machen mal hier, mal dort halt. Ein Interesse am Mythos der Fremdenlegion, als Männerbastion ebenso wie als Kolonialgeschichte, zieht sich in Andeutungen durch den Film, der sich mehr aus sinnlichen Impressionen zusammenfügt, denn einem klassischen Narrativ zu folgen. 

Viel passiert oberflächlich betrachtet nicht, das Meer gibt mit dem Gang seiner Wellen den Rhythmus vor, oft ist außer dem Knarzen des Schiffes kaum ein Ton zu hören. Die Männer der Besatzung stammen, ganz ähnlich wie die Söldner, aus unterschiedlichen Ländern, aus Portugal, Griechenland und Tschechien, ihre Biografien, wie sie zu Ida und einander fanden, bleibt im Vagen. Wittmann, die auch Kamera und Schnitt übernommen hat, geht es um Situationen, nicht um kausale Zusammenhänge oder psychologische Motive. 

Die Zeit an Bord vertreibt sich die Crew mit dem Vorlesen von Gedichten. Unterbrochen werden diese Momente von Unterwasserbildern und mikroskopischen Aufnahmen kleinster Meereslebewesen. Der Film ist eine Einladung zum offenen Sehen. 

Wie der Titel schon suggeriert, ist »Human Flowers of Flesh« eher poetisch als politisch, die Verweise auf die koloniale Vergangenheit, die noch immer durch die Gegenwart geistert, geschehen en passant, in den gelesenen Texten von Marguerite Duras oder Friedrich Glauser etwa. Im Zentrum, wenn es das gibt in diesem Slow Cinema, das sich ebenso für Landschaften und Texturen wie für die Figuren darin interessiert, wandelt Ida als stoisch suchende Bootsfrau, gespielt von der unnachahmlichen Angeliki Papoulia (bekannt aus den frühen Giorgos-Lanthimos-Filmen »Dogtooth« und »The Lobster«). Mit kleinsten Gesten und minimalem Dialog erzeugt sie eine letztlich unergründliche Figur, unabhängig und neugierig.

Durch ihren Blick folgt man diesem kontemplativ-mäandernden Nachspüren von Marseille über Korsika bis ins algerische Sidi bel Abbès, das bis 1962 Hauptquartier der französischen Fremdenlegion war. Dort trifft sie auf den mysteriösen »Galoup«, einen Söldner, verkörpert von Denis Lavant. Vom Straßencafé folgt Ida diesem Mann durch die Gassen, unauffällig zunächst, bis er sich umdreht, als habe er ihre Präsenz gespürt. Er nimmt sie mit nach Hause, wo er mit rohen Eiern jongliert und ihr ein Ständchen singt über Legionärslegenden. Mit dieser Anspielung auf Claire Denis' »Beau Travail« von 1999, in dem Lavant eine Figur namens Galoup spielte, kommt diese betörende und rätselhafte Kinoreise an ihr Ziel.

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