Kritik zu Heart of a Dog

Trailer englisch © HBO Documentaries

Performance-Künstlerin Laurie Anderson verwebt Erinnerungen und Gedanken über die Liebe, den Tod und das Leben zu einem poetischen Multimediagedicht

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4 (Stimmen: 1)

Einen Kurzfilm über ihre Lebensphilosophie sollte sie für Arte drehen, was sie entschieden ablehnte. Na, dann könne sie ja auch etwas anderes machen, über Hunde vielleicht, über ihren Terrier Lolabelle, was irgendwie nach Carte Blanche klingt und sich als guter Trick erwies. Der Film, der aus dieser Idee entstanden ist, heißt »Heart of a Dog«, und die Performancekünstlerin, Sängerin und Dichterin Laurie Anderson hat daraus eine Meditation über das Leben gemacht, über den Tod, die Erinnerung und das Vergessen, aber auch über 9/11 und die darauffolgende Allgegenwart von Militär und Überwachungskameras im amerikanischen Stadtbild. Sie selbst bezeichnet ihren ersten Film seit 30 Jahren als einen Band mit Kurzgeschichten, wobei die einzelnen Kapitel allerdings fließend ineinander übergehen.

»Heart of a Dog« ist eine Collage aus expressionistischen Skizzen, animierten Tintenzeichnungen, Textpassagen, Kindheits-Homemovies und neu gedrehten Filmen, die Straßen und Landschaften häufig aus der Hundeperspektive zeigen. Durch eine assoziative Schnitttechnik, Überblendungen, Doppelbelichtungen und Regentropfen ist eine traumartig diffuse Stimmung entstanden, die stilistisch an Chris Marker erinnert. Schwebend ergibt sich assoziativ eins aus dem anderen, so wie die Gedanken sich ihre unerklärlichen Wege bahnen. Mit ihrer ruhigen, nachdenklichen Offstimme, deren Tonlage immer wieder an die Sprechgesänge ihres langjährigen Lebensgefährten Lou Reed erinnert, wird die Künstlerin zum Guide durch ihre Gedankenwelt, umsponnen von einem zarten Gewebe aus eigenen Kompositionen. In einem Moment erinnert sie sich an einen lang zurückliegenden Spaziergang, bei dem ihr Hund von Raubvögeln bedroht wurde, nur um von dort aus zu den modernen Terrorgefahren aus dem Himmel über New York zu kommen. Auf banale Alltagsmomente folgen existenzielle Ausnahmezustände, beiläufige Beobachtungen führen zu philosophischen Sentenzen von Wittgenstein oder Kierkegaard.

Die Trauer über den Tod von Lou Reed, der die Dreharbeiten für ein Jahr ausgesetzt hat, ist dabei deutlich zu spüren, ohne dass sie jemals in Sentimentalität abgleitet. Aber sie löst Gedanken und Erinnerungen an länger zurückliegende Todesfälle aus, an die alte Mutter, die ihre letzten Worte an die Tiere richtete, die sie an der Zimmerdecke sah, den geliebten Hund, der nicht eingeschläfert wurde, sondern zu Hause friedlich sterben durfte, und von dort ausgehend an einen vereisten See der Kindheit, in dem ihr Bruder beinahe gestorben wäre. Immer wieder geht es um die Natur der Erinnerung, um das Bewahren und Verlieren von Ereignissen und um die Unzulänglichkeit der Sprache.

Lou Reed, dem sie den Film im Abspann gewidmet hat, bleibt das letzte Wort, mit der melancholischen Liebeserklärung seines Songs »Turning Time Around«: Was ist die Liebe? Familie? Lust? Ehe? Nein. Vertrauen. Zeit. Meine Zeit ist deine Zeit, wenn man sich liebt. Und Zeit ist das, wovon man nie genug hat. Für Laurie Anderson wiederum liegt der Sinn des Todes darin, dass die Liebe freigesetzt wird.

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