Kritik zu Everybody Wants Some!!

© Constantin Film

2016
Original-Titel: 
Everybody Wants Some!!
Filmstart in Deutschland: 
02.06.2016
L: 
117 Min
FSK: 
Ohne Angabe

No slackers here! Richard Linklater konzentriert sich in seinem neuen Werk wieder einmal auf einen eng ­begrenzten Zeit- und Lebensabschnitt, diesmal aber sind seine Protagonisten höchst umtriebige, zielbewusste Sportskanonen

Bewertung: 3
Leserbewertung
3
3 (Stimmen: 2)

»Everybody Wants Some!!« beginnt dort, wo »Boyhood« endete – am Studienbeginn, mit einer musikbefeuerten Autofahrt ins Offene des neuen Lebensabschnitts. Jake (Blake Jenner) ist allerdings ein etwas anderer Held als der introvertierte Künstlertyp Mason; Jake ist ein ehrgeiziger Sportler, der darauf brennt, sich in der Baseball-Mannschaft zu beweisen. Auch die Zeiten sind andere: Wir schreiben das Jahr 1980, und die Songs jener Ära – Dutzende davon, querbeet durch alle erdenklichen Genres – sind der Treibstoff des Films. Dessen Personal wird dem Betrachter wie Jake vorgestellt, als er in das heruntergekommene Haus einzieht, das sein Baseball-Team beherbergt. Der zusammengewürfelte Haufen wird sich an diesem Wochenende kennenlernen, sich besaufen und bekiffen, Partys feiern, Mädchen aufreißen (oder es nach Kräften versuchen) und sich gegenseitig austesten, während ein gelegentlich eingeblendeter »Countdown« die Stunden zählt, die bis zum Beginn des ersten Studientags bleiben. Viel mehr passiert eigentlich nicht.

Linklater nennt sein neues Werk ein »spiritual sequel« zu seinem Highschool-Abschlussparty-Film »Dazed and Confused«, der einen weit bunteren Haufen von Typen porträtierte und ein Stimmungs- wie Szenenporträt des Jahres 1976 entwarf. Doch 1980 herrscht bereits ein anderer »Spirit«: Es ist das Jahr, in dem Reagan zum Präsidenten gewählt wird, die in den 1960ern gewachsene Gegenkultur liegt in den letzten Zügen, ein neuer, konservativer Mainstream der Massenkultur zieht herauf.

Zahlreiche Symptome dieses Übergangs macht Linklater an Details sichtbar. Die nostalgischen Signale der Dingwelt, von Mode, Autos, LPs, VHS-Kassetten und Videospielen über Oberlippenprobleme in Form von zu spärlichem Bartwuchs bis hin zu bizarren Vergnügen wie Schlammcatchen, bilden da nur eine Ebene. Subtiler zeigt er den gesellschaftlichen Übergang an seinen Protagonisten und ihren Transitionsriten: Die Jungs wissen, wo's langgeht, und zweifeln nicht an ihren Zielen. Sie haben vor allem Baseball und Frauen im Kopf, für beides trainieren sie, auf dem Sportplatz und bei Anmachsprüchen, die en passant möglichen Zielobjekten wie Bälle zugespielt werden. Zugleich sind sie bewandert in allem, was cool und angesagt ist, und wechseln mühelos von der Disco zur Country-Bar und dann zum Punkkonzert. Eben noch Discofox, jetzt Pogo. Die Jungs sind sozusagen frühe Fachleute einer gesellschaftlich geforderten neuen Flexibilität.

Das Erproben der eigenen Möglichkeiten, die jugendliche Energie und ihre Dynamik innerhalb der Gruppe, nicht zuletzt im Widerstreit zwischen »Team Building« und Konkurrenz zwischen den Sportlern, beherrschen über weite Strecken das Geschehen. So hat Jake anfangs keinen guten Stand, einfach weil er beim Baseball die Position des »Pitchers«, also Werfers, und damit eine klassische Außenseiterrolle einnimmt. Linklaters fast stoische Beobachtung dieses Treibens und die wenn nicht von Musik, dann von Wortgefechten beherrschte Tonspur haben durchaus ermüdenden Charakter, trotz mitreißender Szenen wie jener, in der die Gruppe im Auto durch die Nachbarschaft cruist und zu »Rapper's Delight« von der Sugarhill Gang ihren eigenen, hochdynamischen Wechselgesang darbietet.

Obwohl das ganz ohne Stars auskommende Ensemble um Blake Jenner als Jake durchweg gut besetzt ist, schälen sich aus dem Team nur sehr langsam differenzierte Charaktere heraus, während einzelne leider im Stadium von Karikaturen verharren. Auch Linklaters unprätentiöser und flüssiger Inszenierungsstil wirkt hier oft merkwürdig glatt, und die Kameraarbeit erinnert bei einigen Innenaufnahmen an TV-Sitcoms. So ambitioniert seine Hauptfiguren sind, so willenlos, ja desorientiert wirkt der Film vor allem in der ersten der zwei Stunden Laufzeit. Die aus der Narration heraus poetisch verdichteten Momente, die emotionale Intensität, die Linklater zuletzt etwa in »Before Midnight« und »Boyhood« mit leichter Hand aus seinen Momentaufnahmen hervorzauberte, sie bleibt hier lange unter den ausgestellten Oberflächen verborgen. Und wenn die Dialoge etwas tiefer zielen, dann erläutern sie bisweilen nur, was man längst verstanden hat. »Have you noticed that every­thing we do is a competition?«

In der zweiten Hälfte wirkt »Everybody Wants Some!!« konzentrierter, gerade dadurch, dass er sich öffnet. Außer Sportlern werden nun auch andere »Szenen« sichtbar, beispielsweise Punks oder Kunststudenten. Letztere feiern eine Party mit Kostümen, Theater und Zauberei und bringen ein leicht irreales Flair in den Film. Hier entspinnt sich auch eine Romanze zwischen Jake und Beverly (Zoey Deutch), der einzigen Frau, welcher der Film nennenswerte Aufmerksamkeit schenkt. Und ja: Irgendwann wird tatsächlich auch Baseball gespielt. Die Hingabe und Dynamik, mit der diese Sequenz inszeniert ist, lässt besonders intensiv Link­laters persönliche Verbindung zu seinem Film spüren, stand er doch selbst einst an der Schwelle zum Profisport, bevor ein Herzproblem ihn zwang, diesen Weg aufzugeben.

Bei aller Lässigkeit, die »Everybody Wants Some!!« ausstrahlt – noch einmal Originalton Linklater: »It's just a big party movie« –, deutet er dennoch auch die Fragwürdigkeit des Schwelgens in der Vergangenheit an. Von feinster Ironie ist eine in mehrfacher Hinsicht »dichte« Bong-Szene: Oberkiffer ­Willoughby, die schillerndste Figur des Films, philosophiert darin von Rauchschwaden umflort über Pink Floyds »Fearless« aus dem Jahr 1971, über die Größe jener Musik und den Niedergang in Gestalt von Bands wie Van Halen (Spandex-Hosen!). Während also der Film von 2016 schwelgerisch auf 1980 schaut, trauert Willoughby 1980 bereits den 70ern hinterher – Nostalgie ist eine doppelbödige Angelegenheit.

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