Kritik zu Ehre

© Movienet

2011
Original-Titel: 
Ehre
Filmstart in Deutschland: 
31.05.2012
L: 
87 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Sie ist ein Kernbegriff, der sich doch der präzisen Definition entzieht, auf den aber nicht wenige ihre Identität aufbauen: Aysun Bademsoy hat für ihren Dokumentarfilm Jugendliche mit Migrationshintergrund nach ihrem Verständnis von Ehre befragt

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In prekären Verhältnissen bleiben Ruhm und Ehre oftmals das letzte Zeichen von Anerkennung. Während der Begriff der Ehre im allgemeinen Sprachgebrauch mittlerweile inflationär Verwendung findet (und somit als moralische Instanz entwertet ist), fällt eine gültige, alltagstaugliche Definition jedoch immer schwerer. Die Öffentlichkeit verbindet mit dem Ehr-Begriff ohnehin längst eine konkrete gesellschaftliche Problematik. Aysun Bademsoy hinterfragt in ihrer Dokumentation Ehre ein Werteverständnis, das von Medien und Politikern immer wieder als Indiz absoluter, kultureller Differenz in Stellung gebracht wird. Die Diskussionen entzünden sich dabei oft am Tatbestand des sogenannten »Ehrenmordes«. Der Begriff der Ehre ist heute mehr denn je gesellschaftspolitisch und ideologisch gefärbt. Indem Bademsoy diesen Begriff nun für ihre Mentalitätsstudie aufgreift, läuft sie automatisch Gefahr, denjenigen argumentativ in die Hände zu spielen, die etwas ganz anderes im Sinn haben als eine inter-kulturelle Verständigung.

Für sie als deutsch-türkische Filmemacherin ist es natürlich naheliegend, das vorherrschende Verständnis von Ehre aus einem Milieu heraus zu untersuchen, dem man biografisch nahesteht. Bademsoy beschränkt sich wie schon in ihrer Dokumentation Ich geh jetzt rein . . . auf eine kulturelle Erfahrung, mit der sie als Türkin nur zu vertraut ist. Vom aggressiven, comedy-technisch längst selbstironisch vereinnahmten »Was guckst du?« zum potenziellen »Ehrenmord«, auch das zeigen ihre Interviews, ist es mental oft nur ein kleiner Schritt.

Bademsoy hat männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund nach ihrem Verständnis von Ehre befragt. Die Antworten sind schwammig und ausweichend, niemand hat sich bisher einen richtigen Begriff davon gemacht, was die eigene Ehre eigentlich bedeutet – auch wenn man vielleicht darüber rappt oder bereits ein Anti-Gewalt-Training absolviert, weil ein anderes »Opfer« einen öffentlich »gedisst « hat. »Du Hurensohn«, da sind sich alle Befragten einig, ist die schlimmstmögliche Beleidigung, weil sie die Ehre der Mutter verletzt. Wenn aber die Mutter selbst, fragt Bademsoy im Grunde richtig und doch ganz falsch, gebeten hat, sich von solchen Beleidigungen nicht provozieren zu lassen, verstieße es dann nicht gegen die Familienehre, die von den stolzen, jungen Männern als höchstes Gut empfunden wird, mit Gewalt zu reagieren?

Ihre Dokumentation verkennt in solchen Momenten, dass zu der kulturellen Komponente immer auch eine soziale gehört. Es mag stimmen, dass, wie ein Sozialarbeiter erklärt, die Vorstellung von Ehre aus einem lange zurückliegenden gesellschaftlichen Zusammenhang gewissermaßen in die DNA der türkischen, iranischen und palästinensischen Jugendlichen eingeschrieben ist. Doch dann gibt es immer noch Jugendliche wie Christian, der im Grunde dasselbe wie seine Kumpels sagt, ohne aber deren kulturelle Erfahrung des Fremdseins gemacht zu haben. Was Bademsoy nicht erfragt, ist das Gefühl der frühen sozialen Ausgrenzung, das in allen Gesprächen anklingt und eben auch im gewaltsamen Eintreten für die eigene Ehre zum Ausdruckkommt.

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