Kritik zu The Dissident

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Mit den Mitteln des Politthrillers: Bryan Fogels Recherche zum Mord an Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Generalkonsulat in Istanbul wagt sich, vor allem was die Auswahl der Zeitzeugen angeht, durchaus auf umstrittenes Gebiet

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Die Kamera fliegt durch die Straßenschluchten von Montreal. Ihr Ziel ist ein Hotel, in dem sich der Filmemacher Bryan Fogel mit dem saudi-arabischen Oppositionellen Omar Abdulaziz trifft. Die mit einer Drohne realisierten Aufnahmen zitieren nicht nur klassische Kinobilder. Sie sind Teil einer Spannungsdramaturgie, die einem aus Thrillern bekannt ist. Nur ist »The Dissident«, Fogels filmische Recherche zum Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi, eine Dokumentation und keine Fiktion.

Die Linien, die es einem eigentlich ermöglichen, Wahrheit und Lüge, journalistische Recherche und propagandistische Verschleierung voneinander zu scheiden, sind in den vergangenen Jahren immer durchlässiger geworden. Diese Entwicklung greift der US-amerikanische Filmemacher, dessen »Ikarus« 2018 den Oscar als bester Dokumentarfilm gewonnen hat, auf und macht sie sich im Sinne der Wahrheit zunutze. Die Anleihen beim Genrekino werden zu einem Spiegel, in dem nicht nur der von höchsten saudischen Regierungsstellen sanktionierte Mord sichtbar wird.

Dieser Spiegel wirft auch ein Bild der gegenwärtigen politischen Zustände zurück. Man erkennt die Methoden, mit denen die Wirklichkeit verzerrt und »alternative Fakten« geschaffen werden. Und das gilt längst nicht nur für die kurzen Ausschnitte aus Fernsehnachrichten, in denen sich der damalige US-Präsident mit seinen ausweichenden, das saudische Regime entschuldigenden Äußerungen gegen den Kongress stellt. Der Spiegel lenkt den Blick des Betrachters auch auf sich selbst, und das ist ohne Frage die größte Stärke des Films. Auch wenn Bryan Fogel es nie anspricht, besteht kein Zweifel darüber, dass er selbst eine Figur in einem geopolitischen Schachspiel ist.

Ein entscheidender Teil der Enthüllungsmaterialien kommt von den türkischen Behörden. Sie haben nicht nur geheime Aufzeichnungen für den Film freigegeben. Zudem sind auch der Staatsanwalt und ein Tatortermittler vor Fogels Kamera getreten, um detailliert darzulegen, was im saudi-arabischen Generalkonsulat in Istanbul geschehen ist. Damit belasten sie Kronprinz Mohammed bin Salman schwer. Zugleich inszenieren sie und Fogels andere türkischen Gesprächspartner, die aus dem politischen Umfeld von Recep Tayyip Erdoğan kommen, aber auch ein durchaus propagandistisch geprägtes Bild von der Türkei als Staat, der politische Oppositionelle aus dem arabischen Raum unterstützt. So gesehen lässt sich Fogel benutzen. Aber er legt diese Instrumentalisierung der Dokumentation durch Inszenierung offen, ohne sie auch nur einmal explizit ansprechen zu müssen. Die Wirklichkeit funktioniert tatsächlich nach den Konventionen eines Verschwörungsthrillers.

Fogel verfolgt in seiner Dokumentation eine erfolgreiche Doppelstrategie. Im Zentrum von »The Dissident« steht Khashoggi, den Fogel mittels älterer Archivaufnahmen als besonnenen, für seine Überzeugungen kämpfenden Menschen porträtiert. Aber es sind die Interviews und Gespräche mit Omar Abdulaziz, einem weiteren Dissidenten, die den Mord an Khashoggi in einen größeren Kontext setzen. Seine Erzählungen von den Repressionen, denen seine Familie in Saudi-Arabien ausgesetzt ist, verleihen dem Film eine extreme Dringlichkeit.

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