Kritik zu Der Junge Siyar

© Dualfilm Verleih

Im Spielfilmdebüt des norwegisch-kurdischen Regisseurs Hisham Zaman macht sich ein Waisenjunge mit dem Auftrag zum Ehrenmord auf den Weg quer durch Europa

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Von Kopf bis Fuß wird der junge Mann mit Plastikfolie umwickelt, nur ein kleines Loch bleibt, damit er in der schwappenden Ölbrühe des Tankwagens mühsam nach Luft schnappen kann. Die Tortur ist freiwillig gewählt, denn sie soll Siyar aus dem kurdischen Teil des Irak in die Türkei bringen. Aus familiären Gründen: Denn Siyars Schwester ist fortgelaufen vor einer Hochzeit, die sie zum Teil eines mächtigen Dorfclans machen sollte. Jetzt steht ihr Bruder in der Pflicht, der als Waise und ältester Sohn als Familienoberhaupt gilt. Doch der hat die Suche nach der Schwester auch zur Sache der eigenen Ehre gemacht: »Ich werde sie finden und töten.«

Siyars Reise wird als ost-westlicher Roadmovie über Istanbul, Griechenland und Berlin bis ins ländliche Norwegen führen, geleitet und angetrieben von den lokalen Vertretern des reichen Dorfclans, dessen Verbindungen anscheinend durch ganz Europa reichen. Doch der fast noch kindliche Mann erfährt auf seiner Reise auch zum ersten Mal selbst eine Gefühlsbindung jenseits des Familiären: Ein junges Mädchen stiehlt ihm in Männerkleidung in Istanbul die Geldbörse. Bald begleitet Evin Siyar auf der Reise nach Berlin, wo sie ihren seit Kindestagen verschollenen und von ihr verklärten Vater sucht. Regisseur Hisham Zaman ist selbst als Jugendlicher mit seiner Familie aus Kirkuk nach Istanbul und dann nach Norwegen geflohen, wo er Film studiert hat und mit ersten Kurzfilmen erfolgreich war. Der Junge Siyar  wurde – neben anderen Preisen – beim Gothenburg Film Festival als »bester nordischer Film« und beim Abu Dhabi Film Festival als »bester arabischer Film« ausgezeichnet. Eine Spannweite, die neben der finanziellen Ausstattung des auch mit deutschen Ländergeldern geförderten norwegischen Films darüber hinaus den filmästhetischen Spagat verrät zwischen erfahrungssattem Realismus und den Stereotypen des europäischen Arthouse-Mainstreams – wie gefühlige Musik und forciert fatale Wendungen.

Dabei inszeniert Zaman ebenso eindrücklich die dörflichen Machtverhältnisse wie die schäbigen Absteigen im Norden, während Siyars Rückblicke in bessere Kinderjahre das ländliche Kurdistan mit luftig bekleideten Mädchen in arg verklärtem Licht erscheinen lassen. Überzeugend der lokal gecastete Hauptdarsteller Abdullah Taher, der mit kantigen Gesichtszügen und starrem Blick den auf sein hohes Ziel fixierten Dorfjungen gibt.

Selbstverständlich ist ein Filmplot um solch einen zweifelhaften Helden immer auch ein Vabanquespiel um die Gunst des Publikums. Wer dabei hofft, dass sich Der Junge Siyar aus seinen düsteren Anfängen noch zu einem beschaulichen Coming-of-Age-Ende aufrappeln könnte, wird – soviel sei verraten – enttäuscht, auch weil Siyar bei einer Konfrontation mit griechischen Grenzsoldaten einen folgenschweren Fehler begeht. Dass ausgerechnet der leicht verlotterte deutsche Schauspieler Birol Ünel einen zynischen griechischen Grenzsoldaten gibt, ist dabei der einzig komische Zug.

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Nach dem Filmende musste ich erst einmal 10 Minuten alleine sein. Bin ins Bad, da ich nicht alleine lebe.

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