Kritik zu Coraline

© Universal Pictures

Alles handgemacht: In seinem Puppentrickfilm Coraline öffnet Henry Selick den Blick auf eine so faszinierende wie trügerische Welt

Bewertung: 5
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3.7 (Stimmen: 3)

Coraline Jones ist 11 Jahre alt: mit gelber Regenjacke und gelben Gummistiefeln, die blauen Haare unter einer Schirmmütze verborgen, stapft sie mit trotzigem Gesichtsausdruck hinaus in den Nebel, der ihr neues Zuhause umgibt. Weit weg von ihren bisherigen Freunden hat es sie in die ländliche Einöde von Oregon verschlagen, wo ihre Eltern für einen Gartenkatalog arbeiten. Für die wissbegierige Tochter bleibt da ebenso wenig Zeit wie für die Zubereitung leckerer Mahlzeiten. Coraline solle doch die Fenster und Türen im Haus zählen, wimmelt sie der Vater ab, ohne von seinem Schreibtisch aufzusehen.

Bei ihren Entdeckungstouren stößt Coraline auf die anderen Bewohner des Hauses: zwei alt gewordene Schauspielerinnen im Keller, ein russischer Zirkusdirektor im Dachgeschoss. Aber wirklich aufregend wird es erst, als Coraline eine geheime Tür in der Wohnung entdeckt. Dahinter gibt es einen langen, schmalen Gang, an dessen Ende eine Wohnung liegt, die das Spiegelbild ihrer eige- nen ist – ein Spiegelbild als Wunscherfüllung. Hier ist alles wunderschön und aufregend, die Zimmer sind farbenfroh, das Essen so, wie es Kinder wünschen, die Eltern fürsorglich und witzig – nur dass sie statt Augen Knöpfe haben, ist ein wenig irritierend. Aber zunächst ist Coraline (und mit ihr der Zuschauer) geblendet von der Oberfläche, zumal von einem üppigen Garten, der vor ihren Augen erblüht – in geradezu psychedelischen Farbmustern. Doch wenn Coraline für immer hier bleiben will, muss auch sie ihre Augen gegen Knöpfe tauschen, daran lässt die »andere Mutter« keinen Zweifel.

Auf den ersten Blick könnte man denken, hier werde eine konservative Moral verkündet – »there’s no place like home«, die Weisheit aus dem Wizard of Oz, mit der dem Nachwuchs die Flausen ausgetrieben werden sollen, die Freude an der Faszination des Fremden, des andersartig Aufregenden. Später begreift man, dass die Geschichte komplexer ist, dass es darum geht, Wunsch und Wirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen, dass dies Teil des Erwachsenwerdens ist.

Coraline hat viel von den klassischen Märchen: Wie dort gelingt es der Heldin, die Böse mit einer Wette zu ködern und schließlich zu besiegen; wie dort hat sie getreue Gefährten (zwei- und vierbeinige), vor allem aber zeichnet der Film kein geschöntes Bild des Kindseins, sondern malt das Böse drastisch aus, so wie einst, als in »Hänsel & Gretel« die Hexe im Ofen landete. Zwar hat Autor und Regisseur Henry Selick die literarische Vorlage, den gleichnamigen Roman des britischen Fantasy-Autors Neil Gaiman, ein wenig entschärft, trotzdem ist dies ein Film, in dem das Schöne und das Schreckliche nah beieinander liegen, weshalb die Idee des Verleihs, ihn einen »Film für mutige Mädchen« zu nennen, viel Wahres in sich birgt.

Gerade im zweiten Teil, wenn sich all die Verheißungen der anderen Welt als böse Illusionen, als makabre Mechanismen herausstellen, der andere Vater als eine traurige Marionette, die andere Mutter sich entpuppt als die Herrscherin des Bösen, die ihr wahres Gesicht zeigt, dann gelingen dem Film alptraumhafte Bilder, die bei jüngeren Zuschauern heftige Verstörungen hervorrufen könnten.

Da sind die Verbindungslinien ganz offensichtlich zu Tim Burtons Nightmare before Christmas. Auch wenn Tim Burton damals die Idee hatte und das Konzept beisteuerte, inszeniert wurde jener Film, ebenso wie Coraline, von Henry Selick – als Stop-Motion- Puppentrick, demselben Verfahren, das er zwischenzeitlich auch bei James und der Riesenpfirsich und in Monkeybone (beide Male in einer Kombination mit Live-Action- Sequenzen) anwandte. Selbst wenn bei Coraline als Arbeitserleichterung der Computer zum Einsatz kam, hat der Film, genau wie die Arbeiten aus dem britischen Aardman-Studio (Wallace & Gromit) doch etwas höchst Handgemachtes, zumal in der Liebe zum Detail – im Interview berichtete Henry Selick mit verständlichem Stolz, dass die zahlreichen Hunde, die bei einer Vorführung der beiden alten Artistinnen als Zuschauer fungieren, allesamt einzeln von Hand animiert wurden. Dass Coraline in 3-D gedreht wurde, macht die fremde Welt in ihrer Plastizität noch verführerischer.

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