Kritik zu Bardo, die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten

© Netflix

Alejandro González Iñárritus letzter großer Film, »The Revenant«, liegt 7 Jahre zurück. Zeit für Selbstreflexion? »Bardo, die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten« hat autobiografische Momente – und ist so sperrig wie der Titel

Bewertung: 2
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Dass Alejandro González Iñárritu zu den ganz großen Filmemachern unserer Zeit gezählt werden darf, ist wohl unbestritten. Nicht zuletzt der Blick auf die Academy Awards der jüngeren Zeit – an der Schnittstelle von Kunst und Kommerz kein ganz unwichtiger Gradmesser – spricht Bände: zwei aufeinanderfolgende Regie-Oscars für »Birdman« und »The Revenant«, was kann da noch kommen? Der Mexikaner entschied sich für seinen ersten Film seit Jahren dazu, einen ähnlichen Weg wie zuletzt sein Landsmann und Freund Alfonso Cuarón mit »Roma« zu gehen – und ließ sich für »Bardo, die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten« vom eigenen Leben inspirieren.

Die Unterschiede zwischen beiden Werken sind allerdings nicht zu übersehen. Wo Cuarón zurück in die Kindheit ging, recht nah an den realen Ereignissen blieb und nicht in kleinen Momenten tiefere Bedeutung fand, verarbeitet Iñárritu sein heutiges Leben als gefeierter Künstler, sorgt für ein Minimum an Verschleierung realer Fakten und lässt ansonsten keine Zurückhaltung walten.

Protagonist in »Bardo« ist der Journalist und Dokumentarfilmer Silverio (Daniel Giménez Cacho, optisch ein wenig auf seinen Regisseur getrimmt), der in seiner Heimat Mexiko zwar berühmt ist, so wirklich mit Ehre aber vor allem in den USA überhäuft wird. Weshalb der Hauptwohnsitz auch längst nach Kalifornien verlegt ist, wo die beiden fast erwachsenen Kinder größtenteils aufgewachsen sind. Ein Nachzüglerbaby haben – damit beginnt der Film – Silverio und seine Frau Camilla (Ximena Lamadrid) vor nicht allzu langer Zeit verloren, was ebenso Anlass zur Introspektion ist wie ein renommierter Preis, der ihm in der Wahlheimat verliehen werden soll.

Ein Künstler, der in der Heimat nicht die Wertschätzung erfährt, die er sich sehnlich wünscht, und im neuen Zuhause derart privilegiert lebt, dass er etwa von der Lebensrealität mexikanischer Menschen in Los Angeles keine Ahnung hat – das ist kein uninteressanter Protagonist für einen Film. Und der Tatsache, dass Silverio kein echter Sympathieträger ist, könnte man durchaus Respekt zollen, wäre er nicht ganz so reaktiv und anstrengend.

Iñárritu erzählt das nicht linear oder realistisch, sondern eher als surrealistischen, manche würden sagen: felliniesken Stream of Consciousness, in dem die unterschiedlichsten Lebensphasen, -konflikte und -themen verschwimmen. Dabei gelingen ihm in 174 erstaunlich monotonen Minuten (diese Kritik basiert auf der in Venedig gezeigten Fassung) etliche meisterlich inszenierte und technisch brillante Sequenzen. Schon bei früheren Filmen hatte man zunehmend das Gefühl, dass es Iñárritu zuweilen vor allem darum geht zu zeigen, wozu er imstande ist. Doch nun, im Kontext der autobiografischen Geschichte, gewinnt das etwas protzige Angebertum unangenehm egomane, selbstverliebte Züge. Dass gerade die Frauenfiguren darüber arg flach ausfallen, ist fast schon erwartbar. Und auch für die mexikanische Politik und Geschichte, die immer wieder bemüht werden, interessiert sich der Film am Ende nicht wirklich.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt