Kritik zu Auf Einmal

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Wer war die junge Frau, die sich in Karstens Party geschmuggelt hat und dann tot zusammengebrochen ist? Der erste deutschsprachige Spielfilm von Asli Özge (»Men on the Bridge«) erzählt meisterhaft eine mysteriöse Geschichte aus der bürgerlich-spießigen deutschen Provinz

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Die stärksten kreativen Impulse für den deutschen Film kommen derzeit von Frauen, und nicht erst seit Maren Ades allseits gefeiertem »Toni Erdmann«. Auch Maria Schrader mit »Vor der Morgenröte«, Nicolette Krebitz mit »Wild« oder Uisenma Borchu mit »Schau mich nicht so an« faszinieren mit Eigensinn und Stilbewusstsein. In diese Reihe gehört auch Asli Özges »Auf einmal«, der erste deutschsprachige Spielfilm der gebürtigen Istanbulerin, die bereits mit »Men on the Bridge« und »Lifelong – Hayatboyu« von sich reden machte.

»Auf einmal« bricht das Chaos ins Leben von Karsten Böhm (Sebastian Hülk) ein, einem jungen Bankangestellten aus wohlhabender Familie in der Kleinstadt Altena im Sauerland. Seine Freundin Laura (Julia Jentsch) ist auf Geschäftsreise, als nach einer kleinen Party bei Karsten nur Anna noch bleibt. Man kannte sich vorher nicht, man kommt sich näher – doch kurz darauf ist Anna tot. Es war wohl die Folge einer Erkrankung. Trotzdem tun sich Fragen auf: Warum hat Karsten nicht sofort einen Rettungswagen gerufen, als die junge Frau zusammenbrach? Was genau geschah vor ihrem Zusammenbruch? Was hat es mit der Strumpfhose auf sich, die Laura im Schrank findet und die offenbar Anna gehörte? Und wer war überhaupt diese Anna? Bald stellt sich heraus, dass auch die anderen Gäste sie nicht kannten, dass sie sich in diese Party eingeschmuggelt hat. Als rätselhaft erweist sich auch das Verhalten von Annas Mann, der Karsten zunächst wegen unterlassener Hilfeleistung vor Gericht bringt, die Anzeige dann aber fallen lässt.

In beklemmenden Szenen von Befragungen und Beratungen – mit Freundin und Freunden, mit Eltern und Anwalt – zeichnet der Film nach, wie Karstens Leben und Überzeugungen zerbrechen. Sein Umfeld wird immer misstrauischer, bald geht selbst Laura auf Distanz. Ist Karsten wirklich ahnungs- und harmlos, oder verheimlicht er etwas? Mit mikroskopischer Genauigkeit erzählt »Auf einmal« vom langsamen Zersetzungswerk des Misstrauens. Einzelne Blicke, einzelne Worte jenes fatalen Abends werden von den Anwesenden akribisch rekonstruiert und hinterfragt und dadurch immer rätselhafter. Es ist wie in Karl Kraus' Diktum: »Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück.

Dabei lässt die Inszenierung auch den Betrachter auf raffinierte Weise im Unklaren. Sie zwingt ihn zwar in Karstens Per­spektive, enthält ihm aber dessen Wissen vor. Einige entscheidende Momente bekommen wir nicht zu sehen. Das führt zu einem spannenden, produktiven Zwiespalt. Einerseits fühlen wir mit dem in die Enge getriebenen jungen Mann mit, andererseits ist sein Verhalten in der Tat merkwürdig. Und ist er nicht immer noch eine Spur zu arrogant, gerade in seiner Situation? Dank dem im besten Sinne »undurchsichtigen«, doch ebenso gefühlvollen Spiel von Sebastian Hülk bleibt diese schwierige Rolle perfekt in der Schwebe.

Auch Karstens Umfeld ist – trotz einzelner, gekünstelt wirkender Dialoge – überzeugend porträtiert: die Clique, die sich zwischen hip und spießig in der Kleinstadt eingerichtet hat, die Eltern mit ihrer Angst um den guten Ruf, Annas russlanddeutsche Familie im Schatten von Fabriktürmen. Schließlich die Stadt Altena als eigenständige Hauptfigur – zwischen Hügeln eingezwängte Bürgerlichkeit, so überschaubar und heimelig wie unentrinnbar. Ein Ort, an dem die Eröffnung eines »Erlebnisaufzugs« ein gesellschaftliches Ereignis ist. Kurz: ein idealer Schauplatz, um von Enge und sozialem Druck zu erzählen, und Kameramann Emre Erkmen fängt ihn in klaustrophobischen Bildern mit einem Minimum an Himmel ein.

Die Atmosphäre hat jedoch nichts Einschläferndes, denn die Inszenierung findet immer wieder aufrüttelnde Momente und bisweilen auch schrägen Humor. So flüchtet sich Karsten einmal in eine Kirche, um zur Ruhe zu kommen, wird aber sofort von quä­lend dissonanten Tönen wieder hinausgetrieben. Die schräge Musik rührt zwar ganz banal vom Stimmen der Kirchenorgel her, spiegelt aber auf unerträgliche Weise seinen Seelenzustand.

Kühn, geradezu monströs ist das Finale, in welches Asli Özge ihre auch zuvor nicht um Überraschungen verlegene Geschichte führt. Im Handumdrehen wird der leise Thriller über Ohnmacht zur wuchtigen Fabel über die Macht und das Böse – ein bravouröser Schlussakkord für diesen vielschichtigen, unberechenbaren Film.

Meinung zum Thema

Kommentare

Eine Stunde lang habe ich diesen völlig handlungsarmen, einschläfernden Film ertragen; die dissonante Orgelmusik in der Kirche reichte dann aber aus, um endlich abzuschalten. Da lese ich doch lieber ein gutes Buch. Ihre überschwengliche Beurteilung ist nicht nachvollziehbar!

2 Stunden lang habe ich diesen von subtiler Handlung geprägten Film mit Spannung zugeschaut. Die dissonante Orgelmusik traf hervorragend die Stimmung des Protagonisten. So gut wie ein gutes Buch.

2 faszinierende Stunden aus der Enge einer deutschen Kleinstadt mit tollen Schauspielern.

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