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Ted Kotcheff am Set von »The Apprenticeship of Duddy Kravitz« (1974). © A Paramount Picture

Ted Kotcheff am Set von »The Apprenticeship of Duddy Kravitz« (1974). © A Paramount Picture

7.4.1931 – 10.4.2025

»Rambo-Regisseur gestorben« waren fast alle Zeitungsmeldungen betitelt, die den Tod des kanadischen Regisseurs Ted Kotcheff bekannt gaben. Das war eigentlich nicht anders zu erwarten, manchmal werden Regisseure trotz langer Karrieren auf einen einzigen (Erfolgs-)Film reduziert.

Auch ich war skeptisch, als das Filmfest Oldenburg 2011 ankündigte, die Retrospektive würde Ted Kotcheff gewidmet sein, auch ich dachte zuerst an »Rambo«, den ich seit seiner Premiere 28 Jahre zuvor nicht wieder gesehen hatte. Die Erinnerung an die Fernsehpremieren, im ZDF, von »Duddy will hoch hinaus« (1975) und »Pauline und Joshua« (1998) war ebenso verblasst wie die an sein modernisiertes »Front Page«-Remake »Switching Channels«, einzig die an seinen gelassen erzählten Spätwestern »Begrabt die Wölfe in der Schlucht« (mehr wegen des erinnerungswürdigen deutschen Titels als wegen Gregory Peck, dessen markante Gesichtszüge hinter einem Vollbart verschwanden) und an die Starbesetzte Komödie »Die Schlemmerorgie« stimmten mich erwartungsfroh. Und natürlich die Tatsache, dass die Retrospektiven in Oldenburg (für mich immer ein Höhepunkt des Filmjahres) jedes Mal gut für Entdeckungen waren, fast immer auch die Gelegenheit für ein längeres Gespräch boten. In jenem Jahr erwies sich das umso mehr als ein Ereignis, weil unter den dort gezeigten Filmen auch jener war, der sich als Kotcheffs Meisterwerk herausstellte. Möglicherweise war er damals zun ersten Mal in Deutschland zu sehen, erst fünf Jahre später tauchte er dann im Spätprogramm von arte auf.

Geboren wurde William T. Kotcheff 1931 in Toronto als Sohn bulgarischer Einwanderer. Seine Eltern hatten sich erst in Kanada bei einer Demonstration kennengelernt, als sein Vater seine Mutter vor Polizisten schützte. In seinen 2017 veröffentlichten Erinnerungen »Director's Cut. My Life in Film« berichtet er ausführlich über seine große Verwandtschaft, über das Aufwachsen »in den Slums von Toronto« und über die antisemitische und ausländerfeindliche Stimmung der meisten Kanadier. »In den Jahren der Depression wurden zwischen 1930 und 1935 mehr als 28.000 Menschen deportiert.«  »Meine Filmschule bestand aus den seltsamen Jobs, die ich machte.« Seine Chance kommt 1951, als die Canadian Broadcasting Corporation (CBC) ihr Programm vom Radio zum Fernsehen erweitert. Er beginnt dort als Bühnenarbeiter, arbeitet sich hoch zum Autor und Story Editor und darf drei Jahre später zum ersten Mal Regie führen bei einer dokumentarischen Arbeit.

Eine kanadische Filmindustrie existiert zu der Zeit nach nicht, Regisseure, die deshalb ihr Glück in Hollywood versuchen, sind etwa Norman Jewison und Arthur Hiller. Die zweite Option ist Großbritannien, hier starten unter anderem Alvin Rakoff, Sydney J. Furie und Silvio Narizzano ihre Filmkarrieren. Hollywood war Kotcheff verschlossen, wie er 1953 bei seiner ersten Reise nach New York feststellen musste: er wurde an der Grenze verhört und wegen seiner siebenmonatigen Mitgliedschaft in einem linken Buchclub im Alter von 16 Jahren zurückgewiesen. Seine ganze Familie sei linksgerichtet gewesen, berichtet er, seine Eltern hätten beide in linken Theatertruppen gearbeitet. Dort hätte auch er selber im Alter von fünf Jahren zum ersten Mal auf der Bühne gestanden. 

1957 übersiedelt er nach Großbritannien, wo er sich mit seinem Landsmann, dem Schriftsteller Mordecai Richler, den er als seinen besten Freund bezeichnet, längere Zeit eine Wohnung teilt. Richler schreibt einige Folgen der Reihe »Armchair Theatre« für ihn, die er für das Fernsehen inszeniert, später wird Kotcheff mit der Verfilmung von Richters autobiografischem Roman »The Apprenticeship of Duddy Kravitz« großen Erfolg haben. Mit »Tiara Tahiti« gibt Kotcheff 1962 sein Kinodebüt, drei Jahre später folgt »Life at the Top«, die Fortsetzung von »Room at the Top«.

Beim Fernsehen trifft Kotcheff Sydney Newman wieder, der ihm bei der CBC die erste Chance gab, jetzt wird er zum zweiten Mal sein Mentor, als er die Fernsehfilme der BBC auf zeitgemäße Stoffe ausrichtet. 28 Arbeiten inszeniert Kotcheff zwischen 1958 und 1964 fürs Fernsehen – als Live TV,  wie er es in Kanda gelernt hatte. Seinen größten Triumph feiert er 1971 mit »Edna the Inebriate Woman«. Der Autor Jeremy Sandford hatte den Film über eine ältere obdachlose Frau als Fortführung zu seinem »Cathy Come Home« konzipiert, jenem Fernsehfilm, der 1966 zu einer Parlamentsdebatte über Obdachlosigkeit führte und den Namen des Regisseurs Ken Loach bekannt machte. 

Neben Kino und Fernsehen betätigte sich Kotcheff auch noch als Theaterregisseur, als sein größtes und ambitioniertestes Werk dabei nennt er Lionel Barts Musical »Maggie May«. In der Royal Albert Hall inszeniert und produziert er eine All-Star-Wohltätigkeitsveranstaltung für die Anti-Apartheitsbewegung in Südafrika, auch seine Werbespots für »British Airways« mit dem Komiker Robert Morley erfreuen sich großen Zuspruchs. 

1970 dreht er nach einem Roman in Australien »Wake in Fright«, der damit praktisch zum Startpunkt des Neuen australischen Kinos wird: die Debüts von Regisseuren wie Peter Weir, Fred Schepisi und Bruce Beresford folgen erst Mitte der siebziger Jahre. Der Film hat seine Premiere beim Festival von Cannes 1971, wird aber nur in Paris (mit neun Monaten Laufzeit) zum Kinoerfolg.

1973 kann er dann endlich in Kanada die Verfilmung von Mordecai Richlers »The Apprenticeship of Duddy Kravitz« realisieren, der Film wird auf der Berlinale 1974 mit dem 'Goldenen Bären' ausgezeichnet und ebnet ihm den Weg nach Hollywood, nachdem Kotcheffs Einreiseverbot im selben Jahr endlich aufgehoben wird.

Kotcheffs weitere Arbeiten sind ein mixed bag, Komödien wie sein Hollywooddebüt »Das Geld liegt auf der Straße« (mit Jane Fonda und George Segal), »Immer Ärger mit Bernie«, die in Europa gedrehte »Die Schlemmer-Orgie«, der verhaltene Spätwestern »Begrabt die Wölfe in der Schlucht«, das Footballerdrama »Die Bullen von Dallas«. Vor dem schrillen »Immer Ärger mit Bernie« entsteht der stille »Winter People – wie ein Blatt im Wind«, nach den Vietnam-Filmen »Rambo« und »Die verwegenen Sieben« folgte mit »Joshua than and now« eine weitere Verfilmung eines autobiografischen Romans von Mordecai Richler. Später kehrt Kotcheff zum Fernsehen zurück, aus geplanten drei Monaten als Executive Producer der Serie »Law & Order« werden schließlich zwölf Jahre, der Kreis zu seinen Anfängen im Live-TV schliesst sich.

Bevor Kotcheff 2017 mit dem Dokumentarfilm »Soul of an Artist« seine letzte Inszenierung vorlegt, inszeniert er 2014 den Kurzfilm »Fearless«, produziert und geschrieben von seiner Tochter Alexandra, mit Musik von seinem Sohn Thomas. Das passt in doppelter Hinsicht. In seinen Erinnerungen schreibt Kotcheff ausführlich über seine große Verwandtschaft, darüber, was er von seinem Lieblingsonkel alles lernte und über die Verfolgungen seiner Vorfahren in ihrer bulgarischen Heimat. Ein großes Interesse an Familiengeschichten durchzieht auch seine Filmografie, Familien auch im weiteren Sinne: die Footballer in »Die Bullen von Dallas«, die Vietnamveteranen, die sich in »Die verwegenen Sieben« zu einer Rettungsmission aufmachen, die die wenigsten von ihnen überleben werden, das Männerbündische in »Wake in Fright«.

In seinem Buch betont Kotcheff, wohl zu Recht, dass er stolz darauf ist, dass nicht wenige seiner Arbeiten Wirkung zeigten: »Edna the Inebriate Woman« führte zu Gesetzesänderungen, was das Problem der Obdachlosigkeit anbelangte, »Law & Order: Special Victims Unit« sensibilisierte das Fernsehpublikum für die Gewalt gegen Frauen, die dokumentarischen Aufnahmen von der brutalen Kängurujagd in »Wake in Fright« stellte er Tierschützern zur Verfügung, die damit für eine Gesetzesänderung sorgten.

»Wake in Fright«: Diese Szenen, bei denen Männer nachts mit Jeeps in den australischen Outback hinausfahren und aus den Wagen auf Kängurus schießen (deren Fleisch als Tierfutter in die USA geht) sind auch ein halbes Jahrhundert später noch ein Schock – erst im Nachspann erfährt man, dass Kotcheff dokumentarisches Material der real stattfindenden Kängurujagden mit seinen  Schauspielern im Schnitt zusammenfügte. »Wake in Fright« zeigt den Abstieg eines jungen Schullehrers in die Barbarei. Während der weihnachtlichen Schulferien unterwegs zu einem Urlaub mit seiner Freundin, bleibt er in einem Minenarbeiterkaff hängen, in dem sich die Männer mit nächtlichen Glücksspielen, Kängurujagden und (ganztägigem) Bierkonsum vergnügen – ganze drei Frauen kommen im Film vor.

»Ich habe mich immer zu Figuren hingezogen gefühlt, die sich selber nicht kennen«, das ist ein programmatischer Satz für Kotcheff. Er trifft auch auf »Rambo« zu, den Mann, der aus dem Vietnamkrieg zurückkehrt und erfahren muss, dass sein Kamerad an Krebs gestorben ist, der in der Kleinstadt nicht gern gesehen ist, als langhaariger Hippie tituliert, geschlagen und gedemütigt wird – und schließlich einen  Privatkrieg gegen die Behördenvertreter anzettelt. Das letzte Drittel des Films ist ein Action-Feuerwerk: dass sich daraus die Idee ergeben konnte, den Protagonisten in den Fortsetzungen zu einem Supermenschen zu stilisieren, der im Alleingang Kriege für die USA gewinnt, ist nicht so fern. Aber Kotcheff hat durchaus recht, wenn er darauf verweist, dass »First Blood« (so der Originaltitel) anders angelegt war. Eine Szene wie die am Schluss, als John Rambo seinem ehemaligen Vorgesetzten Colonel Trautmann mit überschnappender Stimme seine Verzweiflung entgegenschreit und dann weinend am Boden kauert, wäre in den Fortsetzungen undenkbar.

Männer und ihre fragile Identität, das zieht sich als immer wiederkehrendes Motiv durch die besten Filme von Kotcheff, in »Die Bullen von Dallas« ist es Nick Nolte als alternder Football-Profi, dessen Körper der Drogenkonsum ansehbar ist, in »Duddy will hoch hinaus« (deutscher Fernsehtitel) ist dem Protagonisten (Richard Dreyfuss) jedes Mittel recht, um aus dem jüdischen Einwandererviertel von Montreal zu entkommen und Karriere zu machen.
Ted Kotcheff hat seinen Platz in der Filmgeschichte verdient.

Das Zeughauskino in Berlin bietet am Samstag, den 21. Juni um 18 Uhr die seltene Gelegenheit, »The Apprenticeship of Duddy Kravitz« in einer 35mm-Kopie der englischen Originalfassung zu sehen.

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