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Wendla Nölle erzählt in ihrem Spielfilmdebüt von einer destruktiven Beziehungsdynamik eines grundsätzlich einander zugetanen Paares im letzten Lebensdrittel
Es ist ein Moment absoluter Intimität, bedingungsloser Nähe zweier Menschen: Eng umschlungen liegen sie im Bett, streicheln gegenseitig ihre welk werdende Haut, küssen sich innig. Er sei nun ganz offiziell alt, sagt die Frau freundlich zu ihrem Mann, der an diesem Tag zum letzten Mal als Professor zur Uni gehen wird. Sie verbindet damit wohl auch die Hoffnung, ihren Mann endlich für sich zu haben. Im nächsten Moment sieht man sie seltsam verkrampft im Garten sitzen und Blumen arrangieren. Denn tatsächlich ist es Juditha, die gebrechlich ist. Seit Jahren leidet sie an Multipler Sklerose. Erik, dieser große, etwas bullige Mann, strotzt vor Vitalität – noch. »Ein großes Versprechen«, das Spielfilmdebüt von Wendla Nölle, kreist um die Frage, wie eine Frau und ein Mann, die einander grundsätzlich in liebevoller Zuneigung zugetan sind, deren Bedürfnisse und Möglichkeiten aber diametral auseinanderlaufen, das letzte Drittel des Lebens gemeinsam gestalten.
Mühsam kann sich Juditha (Dagmar Manzel) am Anfang noch mit einem Stock durch Haus und Garten bewegen, mit einem Greifarm fischt sie die Post aus dem Briefkasten neben den Treppen, Tassen aus dem Schrank. Sie verbringt ihre Zeit mit der kunstvollen Gestaltung von Blumen und dem Beobachten der Vögel. Gearbeitet hat sie schon lange nicht mehr, auch nicht als die Krankheit es noch und die inzwischen erwachsene Tochter es wieder zuließ. Mit nur einem kleinen Nebensatz deutet Erik (Rolf Lassgård) sein spätes Unbehagen darüber an.
Doch dann verschlechtert sich Judithas Zustand dramatisch, Erik ist zusehends überfordert, reagiert mit Panikattacken und Herzrasen. Liebevoll, nicht immer ganz sensibel versucht er, Judithas und seinen Alltag zu erleichtern. Doch Juditha lehnt, mal mit Charme, mal voller Sturheit, jede Hilfe ab, sei es eine Putzhilfe, einen Rollstuhl oder höhenverstellbare Küchenschränke. Dafür verlangt sie Erik alles ab. Der aber will noch leben, fühlt sich im Haus eingesperrt, von den »Wänden erdrückt«, wie er mehrfach sagt. Mit einer eindrücklichen Körperlichkeit spielt Manzel diese im Verfall begriffene Frau. Sie ist nicht unsympathisch oder herrisch und doch von einem zerstörerischen Egoismus. Stets adrett gekleidet genügen ihr Haus und Garten – und Erik, doch der entzieht sich.
Regisseurin Nölle rückt die Menschen in den Mittelpunkt, die Kameramann Nikolai von Graevenitz in Bilder voller Traurigkeit und Einsamkeit überträgt. Mal sitzt Juditha in dem mit großformatigen Pflanzenmotiven tapezierten Haus oder im Rollstuhl im Gang eines Pflegeheims, mal steht Erik bei einem Spaziergang vor einer dichten, hohen Hecke, hinter der trainierende Cheerleader plötzlich emporhüpfen. Jeder der beiden ist abgeschottet von der Außenwelt. Als Paar finden sie nicht mehr zusammen. Wie konnte ein sonst so miteinander zärtlich und liebevolles Paar derart auseinanderdriften? Noelles Film deutet das nur an, seine Konzentration auf Juditha und Erik grenzt allerdings stückweise auch den Zuschauer aus.