Kritik zu Much Loved

Trailer OmU © Arsenal Filmverleih

Der französisch-marokkanische Regisseur Nabil Ayouch schildert den düsteren Alltag marokkanischer Prostituierter authentisch und liebenswert

Bewertung: 4
Leserbewertung
4
4 (Stimmen: 2)

Von Prostitution hat das Kino schon oft erzählt. Etwas anderes ist es, wenn es um eine islamische Gesellschaft geht, in der das älteste Gewerbe der Welt zwar eine große Rolle spielt, offiziell aber nicht existiert. Dieser Doppelmoral spürt der französisch-marokkanische Regisseur Nabil Ayouch in seinem Sozialdrama nach. Seine bewegliche Handkamera folgt vier Frauen, die nachts anschaffen und tagsüber gesittet mit Kopftuch einkaufen gehen. Mit diesem Job finanziert Noah ihre Mutter, wird aber von ihr trotzdem verachtet und wegen dem »Gerede der Nachbarn« verstoßen. Nicht ganz so düster scheint es bei Randa auszusehen. Ihr impotenter Freier rezitiert sogar selbst geschriebene Gedichte. Soukaina geht am liebsten zu weiblichen Freiern – die zahlen wenigstens anstandslos. Die schwangere Hilma muss sich dagegen Kraftfahrern feilbieten, die den schnellen Sex mit Gemüse von ihrem Lastwagen entlohnen.

Verkörpert werden diese liebenswürdigen Nachtgestalten von Laiendarstellerinnen, die dem Film spürbare Direktheit geben. Sexszenen sind explizit, aber nicht reißerisch oder voyeuristisch. Trotzdem ist der hierzulande ab zwölf Jahren freigegebene Film in Marokko verboten. Er sei eine Beleidigung für alle marokkanischen Frauen. Die Noah-Darstellerin Loubna Abidar wird auch gegenwärtig noch bedroht und musste nach Frankreich fliehen, wo inzwischen ihr Touristenvisum abgelaufen ist. »Much Loved« bringt einen Widerspruch auf den Punkt, der das Leben für Frauen selbst in einem Land wie Marokko mit seiner gemäßigten islamischen Regierung unerträglich macht. In Partyszenen wie aus 1001 Nacht beten Freier die Huren zunächst wie Heilige an. Sobald Männer sich ihrer Lust überlassen, verachten sie Frauen, die sie für ihren angstbesetzten Kontrollverlust verantwortlich machen. Um die Oberhand zu behalten, wirft ein arroganter Saudi einen Brillanten in den Pool, damit die Frauen danach tauchen. Und als Randa zufällig herausfindet, dass ihr Freier schwul ist, sich aber krampfhaft heterosexuell zu betätigen versucht, schlägt er sie krankenhausreif.

Durchatmen können die vier Kolleginnen nur in der Ersatzfamilie ihrer WG. Sind Transvestiten zu Besuch, dann herrscht für einen ausgelassenen Moment eine Almodóvar-Stimmung. Der mütterlich auftretende Bodyguard Said (Abdellah Didane) bekocht die Frauen und kutschiert sie anschließend durchs nächtliche Marrakesch, das dank herzschlagartiger Elektromusikuntermalung wie eine traumartige Parallelwelt erscheint. Man könnte die vier für autonome Sexarbeiterinnen halten. Eher beiläufig wird ihre Abhängigkeit von Türstehern und einem korrupten Polizisten deutlich, der sie als Zuhälter ausbeutet. Als Soukaina nach Spanien ausreisen will, bekommt sie kein Visum. Für Frauen gibt es aus dieser Welt, in der sie entrechtet sind, fast keinen Ausweg. Das hervorragende Ensemble und die zurückhaltend eingesetzten filmischen Mittel unterstreichen dieses Gefühl. Ein zuweilen derber Film, der durch seine schwermütige und zugleich freche Poesie begeistert.

Meinung zum Thema

Kommentare

Toller mutiger Film!!

Fand den Film auch sehr mutig und beeindruckend. In Eurer Kritik habt ihr Soukaina und Randa verwechselt.

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