Kritik zu Eine neue Freundin

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Die Außenseitergesellschaft von François Ozon hat mit dem Transvestiten David (Romain Duris) Zuwachs bekommen. Aber ein augenzwinkernder Transvestitenfilm, eine Farce, ist trotzdem nicht daraus geworden, sondern: ein Märchen

Bewertung: 3
Leserbewertung
4
4 (Stimmen: 2)

Die Transvestiten stellt man sich gern als Paradiesvögel der Schwulenszene vor – die Schicksale, die sich dahinter verbergen, bleiben dabei ausgeblendet. Auch François Ozon, der sich lieber im gediegenen Mittelstandsmilieu bewegt, umschifft das soziale Drama, indem er seine Protagonisten in eine Art Wolkenkuckucksheim versetzt, das mit den Ingredienzen einer schönen neuen Werbewelt ausgepolstert ist. In diesem Märchenland lässt sich alles erzählen, auch eine Liebesgeschichte, in der die banale Frage »Liebst Du mich?« auf ganz neue Art und Weise gestellt wird.

Am Anfang war die Frau. Vielmehr: Acht Frauen. Diese Liebeserklärung an die Frau brachte dem bekennenden schwulen Filmkünstler François Ozon den Durchbruch. Doch seitdem veränderte sich der Frauengeschmack des Regisseurs. Seine Vorliebe für Altstars wurde von einer Welt der jüngeren Frauen mit Schwangerschaft, Mutterdasein und einem leibhaftigen Baby abgelöst. Der geniale Frauenregisseur kroch immer tiefer in die Frauenseele hinab und hinein in die befruchtete Bauchhöhle, so dass von bloßer Bewunderung nicht mehr die Rede sein konnte. »Je suis femme«, das Bekenntnis, das nun in einer Schwulenbar ins Mikrofon gehaucht wird, hört sich durchaus wie ein Geständnis an. Greifbarer und ergreifender als in Eine neue Freundin wurde die Frage nach der Geschlechteridentität bei Ozon noch nie gestellt, geschweige denn beantwortet. Jetzt aber hagelt es Antworten, und sie führen alle zurück zum Regisseur selbst. Die zugrunde liegende Kurzgeschichte von Ruth Rendell hat er auch deshalb entscheidend verändert.

Es beginnt mit einer Beerdigung und dem bebilderten Nachruf auf die beste Freundin, die kurze Zeit nach der Geburt eines Mädchens stirbt. Erzählerin Claire (AnaÏs Demoustier) lässt zwanzig Jahre einer Mädchenfreundschaft Revue passieren, die auch Adoleszenz und Hochzeit überstanden hat, obwohl die rothaarige Claire stets im Schatten der strahlenden Blondine Laura (Isild Le Besco) gestanden hat. Die ausführliche Schilderung der Vorgeschichte hat einen Grund, denn Ozon geht es nicht um soziale Empathie, sondern um »Liebe« und um die verschiedenen Spielarten von Weiblichkeit. Da reiht sich auch der Witwer David (Romain Duris) ein, der alsbald von Claire beim Rollenspiel einer liebenden Mutter überrascht  wird: angetan mit blonder Perücke und Lauras Kleidern. Dass er mit ihrer Unterstützung im Verlauf des Films die schöne neue Welt der weiblichen Verkleidungs- und Shoppingfreuden entdecken wird, stürzt auch den Zuschauer in Verwirrung. Das Wörtchen »pervers« wird jedoch schnell wieder verbannt, denn es geht um das schiere Glück, das dieser Mann in seiner neuen Frauenrolle ausstrahlt. Es braucht nicht lange, bis Romain Duris, 1,90 Meter groß, kein weiblicher Typ, die Zuschauer umgarnt hat; schwerer tut sich Claire, die, wenn man dem Regisseur glauben will, die eigentliche Hauptperson des Films sein soll. Davids neuer Name Virginia gilt im Grunde für beide. Auch für Claire beginnt ein neuer Lebensabschnitt, der sich am Vorbild des Superweibs einer »neuen Freundin« orientiert. Dass Frausein nicht angeboren, sondern erlernbar sei, hat schon Simone de Beauvoir, die eigens zitiert wird, überzeugend dargelegt.

Alle Filme Ozons zeugen von der Lust an der Verkleidung, vom sichtbaren Vergnügen des Regisseurs, sich eine weibliche Geschlechterrolle einzuverleiben. In der Neuen Freundin geht er einen Schritt weiter, indem er sich ein Spiegelbild geschaffen hat, das die Vorzüge von Mann und Frau in einer Person vereint. Anmut und Charme dieser Spiegelfechtereien lassen weder die zu verführende Claire noch den Zuschauer unberührt, sondern erzeugen jene grenzüberschreitende Leichtigkeit, die den Zauber aller Ozon-Filme ausmachen. Ob damit schon das Rätsel Geschlechtsidentität gelöst ist, sei dahingestellt. Ozon hält es mit der Wilde'schen Philosophie, dass die Wahrheit an der Oberfläche liege. Die letzten Filmbilder sind Wunschbilder: eine neue Geschlechterordnung im strahlenden Lichterkranz von Utopia.

Meinung zum Thema

Kommentare

Eine überzeugende Kritik, die nur einen einzigen Schwachpunkt hat:

Die ansonsten differenzierte Filmkritik und ihr Hinweis darauf, dass in der Regel Schicksale übersehen werden, wenn Geschlechtsidentität auf Leitbegriffe wie "Transvestiten", "Paradiesvögel" und "Schwulenszene" reduziert werden, macht leider im ersten Absatz mit dieser Begriffskette ungewollt den gleichen Fehler.
Nicht zuletzt deswegen, weil sich auch der Film eher an der Hochglanzoberfläche aufhält.

Identitäten sind und sollten fließend sein dürfen, auch wenn das in einer Welt zunehmender Reduktion auf Bipolarität (in religiöser, politischer und auch persönlicher Hinsicht ein Rückschritt aus den 60er-90er Jahren) immer schwieriger wird.

Vielleicht ein Hinweis auf eine extrem übersichtliche und genaue Darstellung des komplexen Themas:
http://itspronouncedmetrosexual.com/2012/03/the-genderbread-person-v2-0/

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