Wenn Spartacus ein Hund wäre

Kornel Mundruczo Hunde-Action-Drama "White God" hat den Preis der Certain regard erhalten

Seit Jahren spielen Hunde eine besondere Rolle im Filmfestival von Cannes. Es ist ein reines Filmestivalphänomen, geboren aus den Nöten und Freuden des fünf-Filme-am-Tag-sichtenden Kritikers. Denn es kann manchmal leichter sein, Filme anhand ihrer Hundeszenen auseinander zu halten als sich an ihre Titel zu erinnern. Cronenbergs Maps to the Stars – das war doch der, in dem der Hund erschossen wird? Godards Adieu au langage – der, wo der Hund ständig so gemütlich herumliegt. Und Assayas Sils Maria – der, in dem es endlich mal keinen Hund gab. Und weil es jedes Jahr so ist, wird seit einiger Zeit die "Palm dog" vergeben. Von wem genau und wer darüber wie entscheidet, hat noch nie jemanden interessiert, aber für einen Tag ist es eine Meldung, über die alles redet – um sie prompt wieder zu vergessen. Niemand weiß heuer noch, welches Tier die "Palm dog" letztes Jahr erhalten hat.

Das könnte sich allerdings mit diesem Jahr ändern. Denn der ungarische Regisseur Kornel Mundruczo hat wie als geheime Antwort auf den Hundeszenen zählenden Festivalbesucher den Hundefilm aller Hundefilme gedreht. Es gibt viele Arten, diesen Film mit Hilfe anderer Filme zu beschreiben: White God variiert die Spartacus-Geschichte mit einem Hund als Titelfigur. Gleichzeitig ist er eine Art Dawn of the Dead, in dem statt Zombies eine Köter-Armee eine Stadt invahiert. Die Expendables-Formel auf das Lassie-come-home-Format angewandt, hieß es auch irgendwo. Und das Schönste ist, dass dieser Film nun den Hauptpreis der Sektion Un certain regard gewonnen hat. 

Der erste "Expendable" in White God ist ein Hund (ich bin leider sehr schlecht in der Rassebestimmung und kann das nicht einmal ungefähr benennen) namens Hagen. Er gehört einem Trompete spielenden Mädchen namens Lilli, deren Mutter zu Beginn für ein halbes Jahr ins Ausland fährt, weshalb Lilli zum ungeliebten Vater muss. Der Vater allerdings mag Hunde nicht. Bald beschwert sich auch die Nachbarin. Und so sehr sich Lilli auch wehrt, sehr schnell kommt es dazu, dass Hagen ausgesetzt wird, irgendwo am Rand der Stadt. 

Nun muss er wie jeder Ausgegrenzte erst einmal mühsam das Überleben erlernen. Traurig schleckt er Wasser aus Pfützen und streift mit hungrigen Augen im Fleischmarkt herum. Dort trifft er auf Schicksalsgenossen, die ihm sozusagen zeigen, wie’s läuft. Aber die Hundehäscher der Stadt sind unerbittlich, und es gibt viele Menschen, die die natürlichen Bedürfnisse eines Hundes auf Zuwendung und Nahrung böse für sich auszunutzen wissen. Über kurz oder lang gerät Hagen in die Hände eines Hundeschinders, der ihn in Max umtauft und mit den üblichen Methode des Brutalisierens zum Kampfhund "ausbildet". Und ja, wie ein Sylvester Stallone wird auch Hagen/Max zum Sieger mit traurigen Augen, der nach dem Niederringen des Gegners über die eigene Natur erschrickt. Eingesperrt wie ein Gladiator unter anderen Gladiatoren gelingt ihm schließlich doch der Ausbruch – und Hunderte folgen ihm nach. Die Stunde der Rache hat geschlagen…

Gäbe es nicht die "brutalen" Szenen gen Ende, könnte man White God für einen Kinderfilm halten. Gleichzeitig funktioniert der Film als exzellente Genre-Parodie. Dann wieder muss man Mundruczo für das Kunststück bewundern, wie er hier mit über 200 Hunden Massenszenen dreht, die von großartiger Dynamik sind. Mit dieser "Physikalität" der Köterarmee mag auch zusammenhängen, dass die Hunde hier einmal nicht nur vermenschlicht werden, sie sind nie nur "süß", sondern sie verkörpern tatsächlich so etwas wie das Leiden der unterdrückten Kreatur. Sie sind die durch den "weißen Gott", den Menschen, Erniedrigten und Beleidigten. Und dann ist der Film natürlich auch noch eine starke Parabel auf Ungarn heute. 

 

Meinung zum Thema

Kommentare

Der Film hat noch mehr Preise verdient! lange nicht mehr geweint. Aber hier. Der Film ist eine Botschaft.. RESPEKT

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