Wettbewerb: Filme, die weh tun

»Der goldene Handschuh« (2019). © Warner Bros. Pictures

Fatih Akin hat die Berlinale noch sehr angenehm in Erinnerung, das hat er immer betont. 2004 hat er für seinen »Gegen die Wand« den Goldenen Bären erhalten. Das war zwar nicht sein Karrieredurchbruch, aber als ihm die Jurypräsidentin, die Schauspielerin Frances McDormand, die Staue mit den Worten übergab: »Dein Film ist Rock'n'Roll!« – das war schon was. 

Möglicherweise wird diese Berlinale nicht zu seinen positiven Erinnerungen gehören. Zumindest in der Vorführung für die Presse gab es für seinen neuen Film gehörige Buhrufe – und Ratlosigkeit. Sein »Der goldene Handschuh«, einer von drei (rein) deutschen Produktionen im Wettbewerb ist ein Abstieg in die Hölle. Fatih Akin hat das gleichnamige Buch von Heinz Strunk verfilmt, als ein »Horrorfilm«, wie er in Interviews vorab gesagt hat. Es ist die Geschichte des Serienmörders Fritz »Fiete« Honka, der in Hamburg von 1970 bis 1975 vier Frauen ermordet hat. Die erste ist schon tot, als der Film einsetzt, sie liegt auf dem Boden, und wir sehen Honka, wie er eine Säge holt, sie am Hals ansetzt, unschlüssig ist, und dann hören wir zum Glück nur das Geräusch der splitternden Knochen. 

»Der goldene Handschuh« (2019). © Warner Bros. Pictures

»Zum goldenen Handschuh« heißt die Kneipe, in der Honka rumlungert, eine Pinte in Sankt Pauli, rund um die Uhr geöffnet, in der vor allem verschärftes Trinken angesagt ist. Ein Nebel aus Alkohol und Zigarettenqualm hängt in dieser Kneipe, in der Männer dummes Zeug reden und die Frauen sich zuschütten.  Und in der Honka seine Opfer findet. Bei ihm zuhause fließt der Alk, Marke: Oldesloer Korn, literweise. 

Strunks Buch ist aus der Ich-Perspektive in einem zynischen Tonfall erzählt, und Akin hat versucht, in seinem Film dafür eine Entsprechung zu finden: die Groteske. Wie der Glöckner von Notre Dame wankt Honka (Jonas Dassler) mit seinen kaputten Zähnen und einem benebelten Blick durch den Film, auch wenn er nüchtern ist. Man muss bei diesem Film keine Angst haben, dass sich jemand mit dem Serienmörder identifiziert, dazu ist der Film zu eklig, gleichzeitig holt Akin aber auch nichts aus dieser Täterperspektive heraus. Die Nähe des Zuschauers zu Honka ist ungefähr so ergiebig wie die zu Adolf Hitler in »Der Untergang«. Dass Frauenmörder misogyn sind, ist nun keine wirklich neue Erkenntnis. 

»Systemsprenger« (2019). © kineo Film / Weydemann Bros. / Yunus Roy Imer

»Der goldene Handschuh«  lässt einen mitunter etwas ratlos zurück, das Grande Guignol aus zersägten Extremitäten tut weh. Aber es lässt einen auch seltsam kalt. Das kann man von dem zweiten deutschen Film, »Systemsprenger« von Nora Fingscheidt, nicht sagen. Der Film, ein Spielfilmdebüt, dürfte schon in diesem frühen Stadium des Berlinale-Wettbewerbs eine seiner größten Entdeckungen sein. 

Benni ist ein neunjähriges Mädchen, das unter Aggressionsattacken leidet. Benni provoziert, Benni teilt aus, Benni tickt aus, Benni ist in einem permanenten Krieg mit allen anderen Menschen. Die Folgen sind ihr egal. Was man auch an den vielen blauen Flecken auf ihrem Körper sieht. Benni hat schon viele Heime hinter sich, niemand will sie mehr aufnehmen, und für eine geschlossene Anstalt ist sie noch zu jung. Daher der Titel: die Resozialisierungspädagogik ist mit ihrem Latein am Ende, sie passt nicht in dieses System. 

Dabei sucht sie, das macht der Film auch klar, eine Bezugsperson, sucht nach mütterlicher Liebe, ihre überforderte Mutter wurde ihr nicht Herr. Gegen Ende des Films nimmt sie ihr Schulbetreuer (Albrecht Schuch) mit in eine Waldhütte, aber auch das war wahrscheinlich ein Fehler – denn zurück ins Heim will Benni nun nicht. Aber Benni (furios verkörpert von Helen Zengel) kann auch sympathisch wirken, den Tisch decken, zutraulich sein. Aber nie weiß man, woran man bei ihr ist. Das stürzt auch den Zuschauer in ein Wechselbad der Gefühle, und auf dieser Klaviatur der Emotionen spielt Nora Fingscheidt perfekt. 

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