Schall und Rauch

Maiwenns Film »ADN« handelt von einer Enkeltochter, die den Tod ihres Großvaters verwinden muss. Sein Selbstverständnis bildete das Rückgrat der algerisch-französischen Familie, er war stolz auf seine maghrebinische Herkunft und ebenso stolz, Franzose zu sein. Seine Enkelin macht einen DNS-Text und staunt nicht schlecht, als sie das Ergebnis in Händen hält: Ihre Wurzeln liegen keineswegs nur in Nordafrika, sondern sind über alle Kontinente verstreut. Was mich zur Bundestagsfraktion der AfD führt.

Wenn man sich die Namen der Abgeordneten (viele Frauen sind nicht darunter) anschaut, weist die Riege einen durchaus kosmopolitischen Zug auf. Gewiss, die meisten lassen sich augenblicklich als Biodeutsche identifizieren. Und Weltoffenheit wird man aus dem Kaleidoskop nicht zwingend ableiten müssen. Kein Mehmet und keine Esther auf weiter Flur. Ein genauerer Blick lohnt dennoch.

Der Nachname von Alexander Arpaschi aus Rastatt beispielsweise lässt auf eine persische Herkunft schließen. Ob er dessen stolzer Bedeutung tatsächlich gerecht wird, also so stark und mutig wie ein Löwe ist, muss sich in der kommenden Legislaturperiode erweisen. Sein Fraktionskollege Torben Braga wurde in Brasilien geboren. Bei Christian Douglas wiederum würde man eine anglophone Abkunft vermuten, tatsächlich aber er ist gebürtiger Schwede. Boris Gamanow (Wahlkreis Saarbrücken) könnten beträchtliche ideologische Konflikte ins Haus stehen, denn er wurde 1986 im lettischen Riga geboren, das heute an der Ostflanke der Nato liegt. Ob Pierre Lamely ein wenig französischen Esprit in die Fraktion trägt? Allerdings stammt er aus Fulda. Das Toktok, in dem Sergej Minich das Licht der Welt erblickte, musste ich erst nachschlagen – es liegt in der ehemaligen Sowjetrepublik Kirgisien.

Die Eltern von Rocco Kever (Templin), Enrico Komming (Stralsund) und Dario Seifert (Rügen-Vorpommern-Greifswald) müssen wohl ein besonderes Faible für Italien entwickelt haben. Diese Vorliebe erinnert mich an eine Erzählung meines alten Schulfreundes Rainer, der lange Jahre als Schulpsychologe in Sachsen-Anhalt tätig war. Eines Abends verschlug es ihn in eine Wirtschaft, wo nur noch ein Platz frei war neben einem Tisch, wo eine Clique Skinheads beim Bier über die Zumutungen der Gegenwart philosophierte. Niemanden außer meinen Freund schien es zu wundern, dass deren Wortführer Mario hieß. Bleiben wir für einen Moment in diesem Bundesland und in den Niederungen der Lokalpolitik, denn hier muss unbedingt Gordon Köhler erwähnt werden, der sich tüchtig dafür einsetzt, dass an allen öffentlichen Gebäuden im Jerichower Land fortan die Deutschlandfahne gehisst wird.

Demgegenüber wird der Bundestagsabgeordnete Steffen Kotré (Spreewald/ Teltow-Fläming) wohl über den regionalen Tellerrand hinaus denken. Der rührige Aktivist gegen den Klimaschutz, der auch gern über den Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Kriminalitätsrate fachsimpelt, gehört der völkischen Gruppe der Rotkreuzträger an. Wegen seiner Nähe zu Rechtsextremen wollte ihn Leif-Erik Holm (nein, kein Skandinavier, aber inzwischen nahe dran: Er vertritt den Wahlkreis Rügen -Vorpommern -Greifswald) aus dem Landesverband Brandenburg ausschließen lassen. Kotrés Ehefrau Lena sitzt weiterhin für die Partei im Landtag Brandenburgs. Der Akzent am Ende des Nachnamens ließ mich zunächst auf hugenottische Vorfahren schließen, aber dessen Geschichte könnte ebenso kompliziert und divers sein wie im Falle von Maiwenn (https://venere.it/de/die-bedeutung-und-geschichte-des-nachnames-kotre/) .

In der Liste fand ich auch den Namen einer ehemaligen, allerdings schweizerischen Redakteurin. Zu meiner Erleichterung handelt es sich nicht um die selbe Person. Angesichts des Wirrwarrs um Alice Weidels Wohnort wäre eine weitere Eidgenossin ohnehin schwerlich tragbar. Dem Vornamen der Bundessprecherin vom Bodensee haftet indes ein gewisses Schillern an, das der "profunden Euro-Kritikerin" womöglich nicht ganz recht sein wird. Das Alice muss jedoch nicht unbedingt französischen Ursprungssein, sondern dürfte eine Abwandlung der germanischen Adelheid/Adelheidis sein, welche für "von edler Gestalt" stehen. Das inzwischen nun doch nicht mehr verbotene Magazin „Compact“ hatte schon den richtigen Riecher, als es in seinem Shop ein Bikini-Foto von ihr in Posterformat anbot. Das Angebot ist ohnehin ein Füllhorn einschlägiger Paraphernalia, dort kann man neben Martin-Sellner-Masken auch Nazi-Kochbücher erwerben sowie wertbeständige Silbermünzen, die das Konterfei von Björn Höcke zieren oder die deutsch-russische Freundschaft beschwören.

Dass Weidels Co-Sprecher Timo Chrupalla letztere besitzt, ist nicht auszuschließen. Er bemüht sich schließlich enorm um dieses Anliegen, kommt gern auch Einladungen in die russische Botschaft nach. Sein parteiinterner Spitzname "Tiny Timo", den er sich dank mangelnder Führungsstärke verdiente, hat zwar einen anderen Zungenschlag, aber zeigt eindrucksvoll, welch polyglotter Umgangston hier gepflegt wird. Sein Nachname ist polnischer Herkunft, wobei ich bezweifle, dass er mit dem Ehepaar Maria und Paul Chrupalla verwandt ist, Opfern des Nazis, an die in Hamburg zwei Stolpersteine erinnern. Er leitet sich aus dem Verb "chrupac" ab, das man mit "fressen" bzw. "geräuschvoll essen" übersetzen kann. Nimmt es wunder, dass er so viel Verständnis für Putins imperialen Hunger hat?

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