Der schönste Bartschatten Hollywoods
In dieser Woche ist bei uns "The Change“ angelaufen, der einerseits der erste englischsprachige Film von Jan Komasa ist und andererseits die Gelegenheit bietet, Kyle Chandler endlich einmal wieder in einer Hauptrolle zu sehen. Ansonsten erzählt seine Karriere vom Glück, in der zweiten Reihe zu stehen.
Ohnehin spielt Diane Lane, deren Ehemann er verkörpert, hier die entscheidendere Rolle. Aber ich wäre neugierig, weshalb der polnische Regisseur ihn ausgesucht hat. Vielleicht war Chandler einfach gerade frei und seine übliche Gagenforderung überstieg nicht das Budget einer unabhängigen Produktion (wobei die Auswahl in seiner Liga groß sein dürfte). Genauso gut ist natürlich denkbar, dass Komasa genau ihn und niemand anderes haben wollte. Für den Schauspieler bietet "The Change" die Gelegenheit, seine Galerie von Figuren zu vervollständigen, in denen er der Anfechtbarkeit amerikanischer Normalität einnehmende Gestalt verleiht. Seine Erscheinung empfiehlt ihn dringend dafür, sie ist weder unauffällig noch auftrumpfend, sondern einzigartig geläufig, Einem wie ihm würde man zwar zutrauen, in einer der großen Metropolen heimisch zu sein, aber besser aufgehoben wäre er doch eher in einer Vorbeifahrstadt.
Chandler sieht aus, als sei er ein Sohn des Charakterstars Robert Forster; eine Verwandtschaft, auf die beide stolz sein könnten. Diesem Gesicht sieht man an, in welcher Verfassung sein Träger gerade ist. Es ist rotwangig und weist Lachfalten auf, mit den Jahren sind die Ringe unter den Augen ein wenig tiefer geworden. Sein Bartschatten ist kein Anzeichen von Nachlässigkeit, sondern redlicher Virilität; er verkörpert Männer in ihrem Alltag. Das kann durchaus sexy sein, wovon Besetzungsbüros und Regisseure aber vergleichsweise selten Notiz nehmen.
Bekannt wurde er Ende der 1990er mit der TV-Serie "Allein gegen die Zukunft", wo seine Figur rätselhafterweise die Zeitung immer einen Tag zu früh bekommt und tragikomisch den Ereignissen vorgreifen muss. Einen besonders guten Lauf hatte Chandler in den 2010er Jahren, die für ihn wiederum mit einer gefeierten Serie Fahrt aufnahmen, "Friday Night Lights". Für den Part des Football-Trainers erhielt er einen Emmy, aber in Interviews wurde er stets nur nach seinem Co-Star Taylor Kisch befragt. Darauf antwortete er als a good sport, der die Regeln des Ruhms akzeptiert, ohne sich zu beschweren. Für eine ganze Weile war er auf Autoritätsfiguren abonniert – nach dem Trainer waren dies zum Beispiel der Stabschef im Weißen Haus in "Argo", der schnellt spricht, um schnelle Entscheidungen zu treffen; sowie der Leiter des CIA-Büros in Islamabad in "Zero Dark Thirty" -, die er mit Skepsis und Tatkraft ausstattete, mit einem Durchsetzungsvermögen, das meist ohne Aggression auskam. Als FBI-Agent in "The Wolf of Wall Street" bildete er den Gegenpol zum Bereicherungsrausch Leonardo di Caprios: ein Widersacher, der gewinnend und jovial sein kann, aber letztlich ein irischer Bluthund bleibt, der seinem Jagdinstinkt folgt, aber seinen Triumph nicht auskosten kann. In "King Kong“ war er ziemlich ulkig als blasierter und einfach gestrickter Filmstar, der sich vor dem Kamera tollkühn gibt, aber schneller als alle anderen das Hasenpanier ergreift, sobald der Titel stiftende Riesenaffe auftaucht. Der Drehbuchautor des Films im Film sagt einen wunderbaren Satz - "Actors- they travel the world, but all they see ;is a mirror."- , der demonstriert, wie sehr sich das Berufsethos der Figur von dem ihres Darstellers unterscheidet. In zwei "Godzilla"- Filmen begegnete Chandler erneut reniteten Urzeitmonstern, allerdings nun als Wissenschaftler, der fasziniert ist von deren Bestialität.
Das sind lauter Filme, in denen er im Schatten der anderen steht: ein supporting actor, dessen Rollen8 oft eine weitgehend expositorische Funktion haben, denen er aber stets markante Präsenz verleiht. Kyle Chandler gehört zu den heroisch Zuverlässigen; darin spiegeln sich Handwerk und Aura des Schauspielers mit den Erwartungen, die man an seine Charaktere richtet. Sie machen selten viel Aufhebens um sich, aber zu rechnen ist allemal mit ihnen. Sie stehen für sich und die Ihren ein. Einen seiner schönsten und bezeichnenden Auftritte hat er als Hilfssheriff in der spielberghaften Welt von „Super 8“, wo sich ein Zugunglück ereignet hat und eine riesenhafte Kreatur ihr Unwesen treibt (was das Militär vertuschen will). Unter mysteriösen Umständen verschwinden lauter Einwohner der Kleinstadt, darunter auch der Sheriff. In dessen Amt muss Chandler hineinwachsen. "Es gibt 12000 Menschen in der Stadt, die Angst haben", erklärt er seinem Sohn, "und es gibt nur Einen, auf den sie zählen können. Früher war das ein Anderer, nun bin ich es." Einmal ertappt der Junge seinen Vater, wie er auf der Toilette weint (ich glaube, er ist gerade Witwer geworden), was letztlich aber nur die Zuversicht mehrt, dass er der Bedrohung Herr werden wird. Eine wunderbare Vaterrolle hat Chandler auch in "Manchester by the Sea", wo er eingangs stirbt und seinem Bruder Casey Affleck das Mandat überträgt, für seinen Sohn zu sorgen. In Rückblenden wird greifbar, wie sehr der große Bruder nun fehlt.
Chandlers Meisterstück jedoch ist der Part des eifersüchtigen Ehemanns von Cate Blanchett in "Carol". Da hat er wirklich Raum, seine Figur zu entfalten. Die Entfremdung kränkt ihn tief, er spielt die offene Wunde ungemein intensiv, bevor die Verzweiflung in Zorn umschlägt. Anfangs ist er galant ("Du bist immer die schönste Frau im Raum.") und wird zusehends besitzergreifender, fordernder, und ruppiger. Chandler verteidigt seine Figur, im französischen Sinne des Einstehens für sie, aber auch im übertragenen: als ein Geschöpf der restaurativen 50er, ein Mann, der begreifen will, aber es nicht kann. Im Bonusmaterial der DVD nennt Chandler ihn einen Pionier: mit einer Frau in der Liebe zu konkurrieren, so etwas passierte einem amerikanischen Ehemann damals noch nicht, und in der Gesellschaft gab es niemanden, mit denen er darüber hätte sprechen können. Er spricht von einer leisen, verborgenen Erschütterung, die alles durchdringt – und bedrohliche Konsequenzen hat. Manchmal wünsche ich, er hätte mehr solcher Rollen gehabt, die er im vollen Relief ausarbeiten kann. Aber dann denke ich, dieses eine Mal war gut - es genügte, um Glanz zu tragen in die zweite Reihe.





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