Der Pakt wird gebrochen
Eine der Eigenschaften, die Juan Luis Bunuel von seinem berühmten Vater Luis erbte, war der Humor. Einen Scherz erzählte er besonders gern. Er kreist um die Frage, warum Exilspanier so kurze Zeigefinger hätten? Das läge an ihrer Gewohnheit, immer auf den Tisch zu pochen, wenn sie sich gegenseitig versicherten: „Irgendwann ist es mal mit Franco vorbei!“
Das Warten dauerte 39 Jahre. Am 20. November 1975 war es dann soweit:. Abends verkündete der letzte Ministerpräsident des faschistischen Regimes unter Tränen den Tod des Diktators. Ob es mit diesem Datum wirklich vorbei war, ist eine ganz andere Frage. Die Franquisten mussten zwar ihre politische Macht abgeben, übten aber in Industrie, Finanzwelt und Militär weiterhin großen Einfluss aus. Die Aufarbeitung der Diktatur dauerte länger, als ihre Schreckensherrschaft währte. Vollendet ist sie nicht. Das Gespenst des Caudillo geht bis heute um, eine nach ihm benannte Stiftung etwa zieht weiterhin viele Fäden und hat in der ultrarechten Vox zahlreiche Verbündete.
City 46, das Kommunale Kino in Bremen, feiert das 50jährige Jubiläum der spanischen Demokratie mit einer Filmreihe (https://www.city46.de/programm/oktober-2025/lunes-de-cine-montaje-paralelo#c37653), die noch bis zum Februar nächsten Jahres läuft. Sie heißt „Paralleler Schnitt.Visionen des spanischen Kinos in der Transición (1973 – 2023)“ und wird in Kooperation mit dem Instituto Cervantes veranstaltet (https://cultura.cervantes.es/bremen/de/montaje-paralelo.-visiones-del-cine-espa%c3%b1ol-de-la-transici%c3%b3n—1973-2023-/179773, das den Zyklus weltweit präsentiert und zu ihm auch eine Broschüre veröffentlicht hat. Die fünfteilige Filmschau ist nach thematischen Strängen geordnet, nimmt den Bürgerkrieg ebenso in den Blick wie Formen der Revolte. Sie bezeugt ein schwieriges Gedenken. Die Eröffnung fand schon vor zwei Tagen statt, aber das Bulletin des Verbandes der Kommunalen Kinos, dem ich diesen Hinweis verdanke, erreichte mich erst gestern. Auf Verspätungen ist bei der Berliner Post stets Verlass, was leider auch zu diesem Thema passt.
Erst 2007 trat in Spanien das „Gesetz des historischen Gedächtnisses“ in Kraft. Mit seiner Verabschiedung erfuhren die Opfer des Regimes erstmals staatliche Anerkennung. Von nun an war die Exhumierung von in Massengräbern verscharrten Leichen nicht mehr nur eine Privatangelegenheit der Nachfahren. Almodóvars „Parallele Mütter“ von 2021, der bekannteste Titel der Reihe, handelt von einer solchen Identifizierung sterblicher Überreste. Penelope Cruz` Urgroßvater (man sieht, wie lange sich das hinzieht: bis in die übernächsten Generationen) wurde in der Nähe seines Heimatdorfes von Falangisten ermordet. Sie verliebt sich in den Mitarbeiter einer Stiftung zur Aufklärung der Verbrechen, deren Arbeit jedoch durch Kürzungen der konservativen Regierung Rajoy behindert wird. Für den Regisseur ist das ein Lebensthema, bereits in „Julieta“ setzt er sich explizit mit den langen Schatten der faschistischen Vergangenheit auseinander. Seine Karriere begann gleich nach Beginn der legendären Ära der „Transición“, des Übergangs und gesellschaftlichen Wandels.
Sie ist zugleich eine Blütezeit des Kinos - und eine der spannendsten Perioden des europäischen Films schlechthin. Während die alten Eliten noch weiterwirkten und vor Strafverfolgung geschützt waren – man brauchte die Zustimmung der Franquisten, um politische Reformen durchzusetzen -, brachen die Filmemacher den berüchtigten, inoffiziellen „Pakt des Schweigens“. Die Filmemacherinnen und Filmemacher (darunter Jaime Chavarri, Josefina Molina und Carlos Saura) eroberten sich ungekannte Freiheiten, durchaus in der philosophischen Doppeldeutig der Freiheit wovon und wozu. Die Jahre des Ausbrechens und Aufbruchs waren dabei eine faszinierende Periode der Ungleichzeitigkeiten. Als Venturo Pons 1978 den schwulen Performancekünstler und Aktivisten Ocana porträtierte, stand Homosexualität noch unter Strafe. Dieser Pilotfisch aus Barcelona wirkt in ihrem Film ungemein stolz, furchtlos und eloquent. Ohnehin entfesseln die gesellschaftlichen Umbrüche in den Spiel- und Dokumentarfilmen dieser Zeit einen enormen Mitteilungsbedarf. Ein Kino bricht sich Bahn, das nun souverän vom eigenen, selbstbestimmten Leben erzählen kann. Die strenge Zensur (in Francos Zeit noch dreifaltig: ausgeübt von Staat, Kirche und Militär) war müde und kraftlos geworden.
In Bremen werden zwei Filme aus dieser Epoche gezeigt. Im thematischen Strang „Das moderne Spanien“ läuft der halblange „El campo para el hombre“, den das Kollektiv „Cine de Clase“ unmittelbar 1975 realisierte; im Schwerpunkt „Sexuelle und geschlechtsspezifische Revolten“ läuft im November „Let's go, Barbara – Vamanos Bárbara“ (1978) von Cecilia Bartolomé. Die anderen Titel blicken zurück auf die Epoche, in der die Wunden noch nicht vernarben konnten - aus historischer Distanz, aber ohne bequemen Abstand.
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