Tariffrieden

Nicht wenige Kommentatoren, die zurückblicken auf den Streik von 1960, um den aktuellen besser zu verstehen, sind überrascht von dem moderaten Tonfall, der seinerzeit zwischen den Streitenden herrschte. Während heute heftige, auch persönliche Angriffe auf die Gegenpartei an der Tagesordnung sind, ging es damals ziviler zu.

Die "New York Times" widmete dieser womöglich fehlgeleiteten Nostalgie einen eigenen Aufmacher: "Searching for Someone to deliver a Hollywood Ending". Die Pointe des Artikels tritt relativ schnell auf den Plan: Es fehlt jemand wie Lew Wasserman, der Gewerkschaften und Managements wieder zusammenführen kann. Dieser Artikel war auch der Anlass, endlich ein Buch zu lesen und einen Dokumentarfilm zu schauen, die mir mein Freund Heiko vor geraumer Zeit schenkte. Ich glaube, er kam darauf, weil Wasserman häufiger auftauchte, wenn wir über Alfred Hitchcock sprachen. Der Regisseur war sein wichtigster Klient – nicht zuletzt, nachdem er ihn auf die Idee brachte, eine eigene Fernsehshow zu gestalten. "Alfred Hitchcock presents" war eine Win-Win-Situation, wie es viele in der Laufbahn des Superagenten gab: Der Regisseur wurde durch sie womöglich noch berühmter – auf jeden Fall ein household name -, als durch seine Kinofilme. Und die Kassen von MCA klingelten ohne Unterlass. Die Dokumentation „The Last Mogul“ ist dürftig, aber Connie Brucks Wasserman-Biographie "When Hollywood had a King" ist wuchtig recherchiert. Der Streik von 1960 spielt eine erstaunlich untergeordnete Rolle darin. Wahrscheinlich, weil dieser power broker so unendlich viele andere Dinge bewegte, als er der mächtigste Mann in Hollywood war.

Connie Bruck lässt freilich die Kontexte greifbar werden, in denen der große Streik von 1960 stand. Womit wir wieder bei Ronald Reagan wären, Während seiner ersten Amtsperiode als Präsident der SAG befand sich seine Karriere im freien Fall; MCA konnte für ihn nicht einmal Auftritte in Las Vegas buchen. Wasserman bewies jedoch umgehend seine Dankbarkeit für die Sonderregelung (ein "waiver", was ein zentraler Begriff in Brucks Buch wird), die er 1952 für MCA ausgehandelt hatte. Er machte ihn zum Moderator des "General Electric Theatre", eines bald immens erfolgreichen Anthologieformates im Fernsehen. Dass er ihn in der Folge zum Mitproduzenten beförderte, brachte Reagan in arge Interessenkonflikte, die aber erst nach Ende des Streiks publik wurden. James Garner, der neben Charlton Heston zum Verhandlungskomitee der SAG gehörte, sagte später einmal, wie bizarr es es fand, dass der Präsident einer Gewerkschaft, geschweige denn eines ganzen Landes, keinen eigenen Gedanken fassen konnte. Kein Wunder, das waren Wassermans Ideen. Eine Kaskade wechselseitiger Gefälligkeiten folgte nach 1960. Als Reagan in finanzielle Schwierigkeiten geriet, fädelte Wasserman den Verkauf seiner Ranch in Malibu an 20th Century Fox ein. Obwohl die Immobilie nur einen nominellen Wert von 150000 Dollars hatte, trieb Wasserman den Kaufpreis auf zwei Millionen Dollar hoch. Der spätere US-Präsident revanchierte sich, indem er in den 1980ern eine Ermittlung des FBI gegen den Mogul im Keim erstickte. Eine Ironie, die man sich an dieser Stelle lange auf der Zunge zergehen lassen darf, besteht darin, dass der einzige US-Präsident, der je einer Gewerkschaft vorstand, während seiner Amtszeit "big labor" als ein Grundübel betrachtete, das er bis aufs Messer bekämpfte.

Wenn Wasserman gefragt wurde, ob er mächtig sei, antwortete er ohne Koketterie: "Nein, ich habe Beziehungen." Im Gegensatz zu den Studiochefs der klassischen Ära betrachtete er die Gewerkschaften nicht als Feinde, sondern als ein Gegenüber. Bis in die 1990 Jahre war er ein Gewährsmann für Tariffrieden in der Industrie. Zu 61 relevanten labor unions hatte er ein gutes Verhältnis; mit Jimmy Hoffa von den Teamsters war er bis zu dessen mysteriösem Verschwinden eng befreundet. Amerikanische Mythologie und Realität durchdringen sich hier auf geradezu banale Weise. Denn das seine Beziehungen zum organisierten Verbrechen ebenfalls glänzend waren, galt in der Unterhaltungsindustrie als offenes Geheimnis. Diese fingen an, als er sich im Alter von 12 Jahren in den Spelunken seiner Heimatstadt Cleveland herumtrieb. Einer seiner ersten Jobs hatte er als Türsteher in einem Nachtclub, der dem Mob gehörte. Bei MCA, die in Chicago ansässig war, verschaffte er zahlreichen Klienten Engagements in Clubs, die Al Capone gehörten. Jahrzehnte lang war der zwielichtige Sidney Korshak sein wichtigster Mittelsmann: ein ebenso eleganter wie bedrohlich wirkender "fixer", der möglicherweise als Vorbild für Tom Hagen diente, den Consigliere der Corleones in »Der Pate«.

Angesichts derlei dubioser Freundschaften überrascht es nicht, dass Wasserman kein einziges geschriebenes Wort hinterließ. Jeder, der sein Büro betrat, wunderte sich nicht nur, wie aufgeräumt sein Schreibtisch war – sondern, wie leer er war. Sein großes Laster war übrigens das Glücksspiel, weshalb er auch in Las Vegas enge Verbindungen zum Mob pflegte. Zu einer seiner Eskapaden lud er Hitchcock ein, der nicht schlecht staunte, als er ihm Meyer Lansky höchstpersönlich vorstellte. Diese Verstrickungen ließen Wasserman zu Beginn der 1960er Jahren in den Fokus des Justizministers Robert Kennedy geraten. Der ließ jedoch zunächst mögliche Verstöße seines Imperiums gegen das Anti-Trust Gesetz untersuchen. Weit kamen die Ermittler nicht. Zwar genoss MCA als Agentur, Rechteinhaber, aktivster TV-Produzent und bald als Eigentümer von Universal eine Monopolstellung. Aber kaum jemand in Hollywood wollte diese erschüttern, denn Wasserman argumentierte, dieses Monopol sei gut für alle Seiten, denn es schaffe massenhaft Arbeitsplätze.

Die glimpflich ausgegangene Konfrontation mit Bobby Kennedy bestärkte ihn in der Überzeugung, dass er sich fortan größeren Einfluss in Washington verschaffen musste. Wasserman erfand sich neu als begehrter Spendeneintreiber, auf dessen Ausstrahlung und Geschick sich Präsidentschaftskandidaten noch bis zu Bill Clinton verlassen konnten. Der Mann, der angeblich jeden Deal zu seinen Gunsten entschied, war für Posten im Kabinett von Lyndon B. Johnson (sowie einigen seiner Amtsnachfolger; nur zu Nixon hatte er keinen Draht) im Gespräch, lehnte aber ab. Er war zu sehr damit beschäftigt, Universal zu sanieren. Die Rechte am Katalog von Paramount hatten sich für MCA als Goldgrube erwiesen: Sie brachten dem Konzern, konservativ geschätzt, eine Milliarde Dollar ein; nach Francos Tod erzielte er aus Fernsehauswertung von »Wem die Stunde spielt« allein in Spanien Einnahmen von fünf Millionen Dollar. Der Katalog von Universal war weniger lukrativ und die Spielfilmsparte befand sich – anders als die TV-Aktivitäten - Ende der 1960er in schlimmen Turbulenzen. Nicht einmal Hitchcocks Filme liefen gut. »Airport« ist 1970 ein Hoffnungsschimmer, aber noch kein Versprechen, dass sich das Blatt wendet. Wasserman baut Universal City auf (das er unbescheiden "Entertainment Capital of the World" nennt), erfindet die Studiotour mit und lässt sich von Mies van der Rohe einen Bürokomplex im Stil des Seagram Building in New York bauen, der den ominösen Namen "Black Tower" trägt und auch insofern kein gutes Karma besitzt, als Seagram bzw. Edgar Bronfman jr. in den 1990ern MCA erwerben und Wasserman entmachten wird.

Aber bis dahin stehen noch epochale Ereignisse aus. Als Darryl F. Zanucks Sohn Richard bei 20th Century Fox gefeuert wird, holt er ihn und seinen Partner David Brown zu Universal. Von ihrem ersten Projekt verspricht sich das Studio nicht viel: »Sugarland Express«. Der Regisseur ist blutjung, hat sich aber in hauseigenen Serien schon seine Sporen verdient: Steven Spielberg. Wasserman lässt dem Gespann freie Hand; immerhin ein Erfolg bei der Kritik. Mit ihrem nächsten Stoff ködern Zanuch/Brown den Spieler in Wasserman: »Der Clou«. Das ist eigentlich Kino der alten Schule, wird jedoch vor (Newman/Redford) und hinter der Kamera (George Roy Hill und eine illustre Crew) ziemlich aufgefrischt. So viel Geld und so viele Oscars hat bisher kein Universal-Film eingebracht. Zwischendurch schafft das Studio mit »American Graffiti« (Regie: George Lucas) den Anschluss ans New Hollywood, bevor das nächste Projekt von Zanuck/Brown das Blockbusterkino einläutet: »Der weiße Hai«. Wasserman erkennt da zwar ein Potenzial (die Einschätzung von Stoffen ist nicht seine Stärke), aber lässt sich auf Spielberg als Regisseur nur ein, weil die Produzenten auf ihn vertrauen (die Einschätzung von Talenten sowie Loyalität sind das Schmiermittel seiner Karriere). Die Dreharbeiten, zumal auf offenem Meer, werden eine logistische Katastrophe, Spielberg überschreitet Budget und Drehplan immens, der geplante Starttermin ist nicht zu halten. Aber der Film kommt bei Testvorführungen und Kinobesitzern phänomenal gut an.

Universal entscheidet, der Not gehorchend, ihn im Sommer herauszubringen, was bis dahin kein erfolgversprechender Zeitpunkt ist, um große Filme zu lancieren. Die Marketingabteilung jedoch ist in Hochstimmung: 600 Kinos wollen ihn zeigen, sogar in Palm Springs, das gab es bisher nie! Wasserman hat eine andere Idee. Er reduziert die Zahl der Kinos. Das Publikum soll ruhig aus Palm Springs nach Los Angeles reisen. Dort soll es Schlange stehen. So wird der Film zu einem Ereignis, an dem alle Welt teilhaben wollen. Die nächsten Meilensteine des Blockbusterkinos lässt sich Universal entgehen, »Star Wars« und »Jäger des verlorenen Schatzes«. Das schmerzt das Management mehr als Wasserman. Er kann seiner Zuversicht trauen, einer Gabe, die ein Kritiker einmal so beschreibt: um die Ecke zu schauen auf das Morgen. Spielberg kehrt mit »E.T« zu Universal zurück, das bis heute seine Heimat geblieben ist.

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