Écriture féminine: Nicht gern allein

Céline Sciamma will es aufgeben; sie meint, sie habe es lang genug getan. Audrey Diwan hingegen hat die Lust daran längst noch nicht verloren. Léa Mysius scheint es ebenso zu gehen. Maiwenn wiederum ist noch ein schwebendes Verfahren, sie hat es zum ersten Mal ausprobiert.

Was haben die vier Französinnen gemeinsam? Sie sind sämtlich gestandene Regisseurinnen, die nebenher Drehbücher für Kolleginnen und Kollegen schreiben. Das gibt es wohl in keiner anderen Kinematographie, jedenfalls nicht in dieser Häufigkeit und Prominenz. Zugleich stellt es ein hübsches Paradoxon dar in einer Filmkultur, die seit den 1950er Jahren den Regisseur als alleinigen oder zumindest entscheidenden Urheber betrachtet. Die Vier hebeln die Autorenpolitik aus. Eine nennenswerte Tradition hat das nicht. Gewiss, Claude Sautet arbeitete häufig an Drehbüchern von befreundeten Kollegen mit, aber in der Regel als Script Doctor und stets ohne Nennung im Vorspann. Die Vier hingegen verbergen ihre Mitwirkung nicht. Also keine doppelte kreative Buchführung? Wohl eher eine Doppelbegabung! Ich vermute, sie betrachten die Drehbucharbeit nicht unbedingt als gleichrangig, aber eben auch nicht als bloße Brotarbeit.

Ihr jeweiliger Werdegang und ihre Motive unterscheiden sich indes. Bei Maiwenn, die in »Les Miens« neben Regisseur und Hauptdarsteller Roschdy Zem auch als Darstellerin in Erscheinung tritt, lassen sich nur Vermutungen anstellen. Vielleicht erfährt man in Venedig mehr, wo ihr gemeinsamer Film in einigen Tagen Premiere feiert. Die Filmographie von Léa Mysius weist sie momentan noch hauptsächlich als Drehbuchautorin aus, zunächst von Kurzfilmen, dann ab 2017 zweimal als Co-Autorin von Arnaud Desplechin bei »Les fantomes d'Ismael« (der in Cannes im selben Jahr lief wie ihr Langfilmdebüt »Ava«) sowie »Roubaix, une lumière«. Im selben Jahr, 2019, kam „L'adieu à la nuit“ (Regie: André Téchine) dt. Fernsehtitel »Abschied von der Nacht«) heraus. Bei »Wo in Paris die Sonne aufgeht« teilt sie sich den Drehbuchcredit mit Jacques Audiard und Céline Sciamma, mit der sie aber offenbar nicht direkt zusammenarbeitete, sondern vielmehr deren Nachfolge antrat. Inzwischen hat Mysius ihren zweiten Langfilm »Les cinq diables« realisiert, der im Mai in Cannes lief und mit dem sie sich als Co-Autorin von »Stars at Noon« (Regie: Claire Denis') wiederum selbst Konkurrenz machte.

Auch Sciamma fing als Autorin von Kurzfilmen an, die von Studienfreunden realisiert wurden. Sie schrieb sich in der Drehbuchsektion der Pariser Filmhochschule Fémis ein und gab nach ihrem Spielfilmdebüt »Water Lilies« (2007) das Schreiben für andere vorerst nicht auf. Aus Interviews gewinnt man den Eindruck, ihre ersten, selbstverfassten Regiearbeiten fungierten gar als Empfehlungsschreiben für Drehbucharbeiten. Claude Barras wollte sie unbedingt für seinen Puppenfilm »Ma vie de courgette« (Mein Leben als Zucchini) engagieren, weil er ihr Geschick bewunderte, Ellipsen zu setzen. Den Tod von Zucchinis Mutter, die in der (für erwachsene Leser geschriebenen) Romanvorlage einem Revolverschuss zum Opfer fällt, imaginiert Sciamma für den Film als einen Moment schonungsvoller Lakonie. Nachdem ihre dritte Regiearbeit »Mädchenbande« bei der César-Verleihung 2015 sträflich übergangen worden war, gewann sie für »Mein Leben als Zucchini« den Preis in der Kategorie "Bestes Drehbuch nach einer literarischen Vorlage". Im Jahr darauf schrieb sie »Quand on a 17 ans« (Mit Siebzehn), der mich auch insofern verblüffte, weil Téchiné unversehens an den Elan anknüpfte, den seine Filme in den 1990er Jahren noch hatten. Seine Zusammenarbeit mit Scimma und danach Mysius erscheint mir im Nachhinein als ein Generationenvertrag, der für eine zweifache Perspektive bürgt: eine anarchische, rebellierende sowie eine bürgerliche (die keineswegs identisch sein muss mit der Téchinés).

Ein ganz anderes, rätselhaftes Schillern zieht sich durch die Karriere Audrey Diwans, die sich bereits einen Namen als Journalistin und Romanschriftstellerin machte, bevor sie Drehbücher mit ihrem inzwischen geschiedenen Mann Cédric Jiminez schrieb. Auf den ersten Blick bringt man die Regisseurin von »L' événement« (Das Ereignis) so gar nicht zusammen mit den verschwitzten Macho-Ritualen, die in »La French« (Der Unbestechliche – Mörderisches Marseille, 2014) und „BAC Nord“ (Bac Nord – Bollwerk gegen das Verbrechen, 2020) zelebriert werden. Nach ihrem letztjährigen Triumph in Venedig hat Diwan angekündigt (unter anderem in dem Gespräch, das Frank Arnold für epd Film mit ihr führte), weiterhin Drehbücher für KollegInnen zu schreiben, namentlich Claude Lelouch und Valérie Donzelli, die inzwischen »L'amour et les forets« nach Diwans Buch bereits abgedreht hat. Ein interessantes Spektrum allemal. Dem großen Rätsel, um das ich mich bislang herumgedrückt habe, gehen ich in einem folgenden Eintrag nach: Worin zeigt sich die weibliche Schreibweise?

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