No Sex please, we're British

Diese Bühnenfarce kam 1971 beim Londoner Publikum bestens an. Sie hielt sich 16 Jahre lang auf den Spielplänen gleich dreier Theater. Die Kritiker waren entsetzt. Aber der Titel war unwiderstehlich. Es geht um ein junges Ehepaar, das eigentlich Geschirr in skandinavischem Design bestellen will, statt dessen aber aus Dänemark mit Pornographie in jedweder Form überhäuft wird. Am Broadway war die Komödie ein epochaler Flop.

Sie traf offenbar vor allem einen heimischen Nerv. Ich habe sie nie gesehen, mochte aber immer das flehentliche "please" in der Mitte ihres Titels. Es schien um Nachsicht für den Nationalcharakter zu bitten, vielleicht gar um Erbarmen. Ein französischer Kollege, der den Titel ebenso vergnüglich fand, brachte das Stück (das er ebenfalls nicht kannte) immer gern in Verbindung zu Francois Truffauts Argwohn gegenüber dem britischen Kino.

In seinem Interviewbuch mit Hitchcock redet er sich da geradezu in Rage, phantasiert von einer Unvereinbarkeit der Begriffe "Kino" und "England". "Ah? Das müssen Sie erklären"; wirft sein in London geborener Gesprächspartner ein. Die Antwort bleibt sein junger Kollege ihm nicht schuldig. Für diese angebliche Filmfeindlichkeit macht er nationale Eigenheiten verantwortlich: das friedliche englische Leben, die solide Routine, die englische Landschaft und sogar das englische Klima. Kurz: Das Maßvolle verhindere wirkliche Emotionen und würde die filmische Vorstellungskraft bremsen.

An diese hübsche Faselei durfte man sich vor ein paar Wochen erinnern, als der Verband "Directors UK" neue Richtlinien für das Drehen intimer Szenen in Zeiten von Covid-19 ausgab. Vor zehn Monaten war das Regelwerk schon einmal novelliert worden, als Reaktion auf #MeToo. Nun bekommt der Berufsstand des "intimacy coordinator", dessen Existenz mir verwunderlich und dessen Notwendigkeit verstörend erscheint, noch mehr zu tun. Die Regularien für körperliche Interaktionen vor der Kamera sind überaus detailliert, zielen im Wesentlichen aber auf deren Vermeidung. Ausnahmen sind beispielsweise erlaubt, wenn die Filmpartner dies auch im wirklichen Leben sind, was aber statistisch erst einmal wenig ins Gewicht fallen. Man könne zur Not auch auf Sexpuppen zurückgreifen.

Der Verband empfiehlt seinen rund 7500 Mitgliedern eine strenge Prüfung: Ist es wirklich nötig, den Sex zu zeigen? Wirkt dessen Anbahnung nicht oft viel erotischer? Genügt es im Gegenzug nicht auch, das Danach zu zeigen, die zerwühlte Bettwäsche oder das laszive Wiederankleiden? Die Notwendigkeit, sozialen Abstand zu halten, soll aber vor allem die Phantasie der Filmemacher anregen. Truffaut wäre gespannt. Als Inspiration für geschickte Vermeidungsstrategien rät "Directors UK", sich Hollywoodfilme anzuschauen, die unter dem Hays Code entstanden sind, also zum Beispiel »Es geschah in einer Nacht« von Frank Capra (mit den "walls of Jericho") oder »Casablanca«. Warum gerade diese Zwei? Capras Film entstand, bevor der Code verbindlich wurde. Und erinnert sich niemand mehr an Lubitsch, der in dieser Hinsicht zweifellos der triftigere Ideenlieferant wäre?

Bezeichnend (und Wasser auf Truffauts Mühlen) an diesem Rollback in puritanischere Zeiten ist, dass Hollywood und nicht die eigene Filmgeschichte als Ratgeber fungieren soll. Abwegig ist es nicht, da England zwar durchaus über eine beachtliche Komödientradition verfügt, man denke an Ealing, in der erotisches Raffinement aber nur eine untergeordnete Rolle spielte. Die Ratlosigkeit, die die Filmproduktion befallen hat, ist kein Anlass zu Spott. Aber es hilft bestimmt, Landsmann zu sein, um das britische Kontaktverbot mit Humor zu nehmen.

Natürlich ist die Frage ernst und weitreichend, wie sich die Pandemie auf die Ästhetik des Kinos auswirken wird. Ein so inniger Berührungsfilm wie Malicks »Ein verborgenes Leben« könnte unter diesen Bedingungen nicht mehr entstehen. Ich vermute, erst einmal wird eine Rückkehr zu einer alten, viel gescholtenen Konvention stattfinden: Schuss-Gegenschuss. In einer solchen Folge lassen sich Berührungen fingieren, die in einer Plansequenz unweigerlich ausgeführt werden müssten. Da könnte man tatsächlich von »Casablanca« lernen. Wie großartig Schuss-Gegenschuss-Folgen funktionieren können, erfuhr ich gerade wieder, als ich eine Dokumentation über Jean-Pierre Melville sah. Ihr Effekt ist unvergleichlich bezwingend bei ihm, denn er legte größten Wert auf die Blickrichtungen. Er choreographierte sie akribisch. Melville drehte intime Szenen, über Freundschaft, Verrat, auch Liebe. Aber den Briten wäre er keine große Hilfe, denn Sex kommt in ihnen nicht vor.

 

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