Nächster Halt Xanadu

Als Donald Trump 2016 die Präsidentschaftswahl gewann, war es 75 Jahre her, dass „Citizen Kane“ herauskam. Zwischen beiden Ereignissen bestand kein kausaler Zusammenhang, aber eine enge Verbindung. Es handelt sich erklärtermaßen um den Lieblingsfilm des 45. Präsidenten, was man seinerzeit noch weniger als Warnung, denn als Missverständnis begreifen durfte.

Nun, da er abgewählt ist, sich im Weißen Haus verschanzt, per Twitter an seiner persönlichen Dolchstoßlegende zimmert und von einem eigenen Mediemimperium phantasiert, werden die Parallelen zwischen ihm und Charles Foster Kane umso deutlicher. Auch dieser reagiert auf eine Niederlage an den Wahlurnen, in dem er den Verdacht des Betrugs schürt. „Fraud at Polls“ lautet der Aufmacher, den die Redaktion seines „Inquirer“ für den Fall vorbereitet, dass Kane im Rennen um das Amt des Gouverneurs von New York unterliegen sollte. Damit belässt es der Film, denn Kane hat im Gegensatz zu Trump einen gewissen Begriff vom Scheitern. Es bleibt zu hoffen, dass der ihn bald auch in dieser Hinsicht imitiert.

Zur Vorbereitung auf David Finchers „Mank“, der im nächsten Monat auf Netflix anläuft, habe ich „Citizen Kane“ gerade noch einmal gesehen. Während in den USA die Stimmen aus- und nachgezählt wurden, las er sich wie ein postumes Menetekel. Ob Trump tatsächlich von der Filmfigur gelernt hat, ist fraglich. Er war schließlich davon überzeugt, ihr Ratschläge erteilen zu müssen: Kane hätte sich besser eine andere Frau nehmen sollen. Aber zweifelsohne hat er sich in ihr erkannt: in dem Mogul, dessen Geschäft die alternativen Fakten sind; dem Multimillionär, der sich zum Sprachrohr der Unterprivilegierten erklärt; dem Machtmenschen, der Umgang mit Diktatoren pflegt. Was eingangs ein Reporter über die Wochenschau sagt, die Kanes Leben bilanziert, war ihm gewiss aus dem Herzen gesprochen: „All I saw up there was a big American.“; wenngleich Trump eher das Adjektiv „great“ bevorzugt. Auch die mythische, überlebensgroße Dimension, die Gregg Tolands Untersichten dem Protagonisten verleihen, wird ihm gefallen haben. Ich denke, auf eine Figur wie Jed Leland hätte er insgeheim gern verzichtet, aber der bleibt letztlich machtlos als moralisches Korrektiv. Trumps lustvolles "You're fired!" in "The Apprentice" muss kein Zitat der letzten Szene zwischen Leland und Kane sein. Und dass dessen gigantomanisches Lustschloss „Xanadu“ ebenso in Florida liegt wie Trumps Refugium Mar-a-Lago, wird wohl bloßer Zufall sein.

Sein Bekenntnis zu „Citizen Kane“ stammt aus dem Jahr 2002, als der Dokumentarfilmer Errol Morris ihn und andere Berühmtheiten für einen Einspieler der Oscar-Verleihung nach ihren Lieblingsfilmen befragte. Morris hat einige Erfahrung mit Gesprächspartnern, die großes Talent zur Selbsttäuschung besitzen (Donald Rumsfeld etwa), aber Trump stellte in dieser Hinsicht eines der großen Mysterien seiner Laufbahn dar. Für den damaligen Immobilientycoon handelte „Citizen Kane“ von dem „great rise and modest fall“ des Titelhelden, er betrachtete ihn als Archetyp des Selfmademan - obwohl beide nur Erben mit Hang zum Hasardspiel sind, ist das insofern richtig, als Kane einer ist, der sich selbst zu erfinden weiß. Und „Rosebud“ fand er ein Symbol, das großartig funktioniert: Immerhin habe Steven Spielberg 55000 Dollar für den Schlitten bezahlt, als die Requisiten des Films versteigert wurden.

Trumps Faszination für den Film darf man als dreiseitigen Spiegel betrachten, dessen dritter Flügel Orson Welles ist. Er bewunderte ihn für seine glamourösen Ehefrauen und dafür, dass er sich später unmöglich machte. Mit Welles' anfänglichem Status als Heilsbringer Hollywoods wird er sich in hohem Maße identifiziert haben: Begnadete Egozentriker erkennen einander. Wie sagte Drehbuchautor Herman J. Mankiewicz über den Regisseur, als er ihn einmal durchs Studio stolzieren sah: „There but for the grace of god goes god.“

Die weiteren Lieblingsfilme, die Trump seinerzeit nannte, sind ebenso bezeichnend. Auf Platz zwei folgt Leones „Zwei glorreiche Halunken“, sodann „Vom Winde verweht“, „Der Pate“ und „Goodfellas“. Auf die eine oder andere Weise handeln sie von Rücksichtslosigkeit, Gier, Betrug und dem Begründen von Imperien; ihr Endreim ist die Anleitung, wie man sich Menschen gefügig macht; „Vom Winde verweht“ verkörpert für Trump wohl die gute alte Zeit, deren Beschwörung aus seinem Mund stets etwas Bedrohliches hatte. Warum aber steht „Citizen Kane“ an der Spitze, der in jeder Hinsicht das Gegenteil eines konservativen Films ist?

Morris diagnostizierte bei seinem Interviewpartner ein erschreckendes Defizit an Ironie. In der Tat wies Trump seinerzeit (und tut es wohl auch seither nicht) kein Gespür für die Ambivalenzen auf, die dem Drehbuch von Mank und Welles innewohnen. Das wäre eventuell entschuldbar, denn es erzählt die Tragödie mit komödiantischer Verve. Aber natürlich ist die schonungslose Entlarvung des Populismus' unmissverständlich. Kane herrscht über ein Imperium des Anscheins, in dem Wahrheit und Lüge irrelevant sind. Er zerstört alles und jeden, der seinen Weg kreuzt. In seinem Leben gibt es keinen Platz für Freundschaft und Liebe. Reichtum isoliere eben, gab Trump 2002 zu Protokoll (ahnte er, wie nützlich ihm später einmal die Opferrolle sein würde?). Einer, für den die Welt sich nur um ihn dreht, kann „Citizen Kane“ gar nicht anders verstehen, als Trump es tut. „Es gibt nichts Furchterregenderes“, schrieb Jorge Luis Borges in seiner Kritik des Films, „als ein Labyrinth ohne Mittelpunkt.“

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