Er verstand

»Die drei Tage des Condor« (1975)

Wenn ich gebeten werde, Nachrufe zu schreiben, fallen mir in der Regel zuallererst Nebensächlichkeiten ein. Das ist nicht unbedingt praktisch, aber nicht immer ein Fehler. Große Lebenswerke schüchtern ein, da will ich mich auf Samtpfoten nähern, einen Zugang suchen über geringfügige Details.

Bei Max von Sydow musste man eigentlich beim Monumentalen ansetzen, bei der Last der Welt, die er auf seinen recht schmalen Schultern trug: als Kreuzritter, der mit dem Tod Schach spielt (überhaupt als Schmerzensmann bei Ingmar Bergman), als Jesus Christus in »Die größte Geschichte aller Zeiten« und als Father Merrin, dem Exorzisten, der dem Teufel Einhalt gebietet.

Aber der erste Moment, der mir zu ihm einfiel, war ein ganz kurzer Satz: »I know.« Er spricht ihn als Auftragskiller Joubert, der in »Die drei Tage des Condor« eine Nebenabteilung der CIA liquidieren soll. Er steht einer Mitarbeiterin dieser Geheimzelle gegenüber, die asiatischer Abstammung ist und von der wir nur ahnen, dass sie ein Liebesverhältnis mit Robert Redford hat. All ihre KollegInnen sind bereits tot, sie ist die Letzte, die Joubert ins Visier nimmt. Als hätte er gewusst, wie wichtig sie für Redford ist, der dem Anschlag entkommen ist. »Ich werde nicht schreien«, sagt sie, bevor er sie erschießt. Und dann folgen diese zwei Worte, bevor der Killer das tut, was für ihn unausweichlich ist: »Ich weiß.« Eine ganze Welt ist darin aufgehoben, nicht nur die von Joubert. Von Sydow spricht das wie ein verständnisvoller Vater, fast zuvorkommend: als würde zwischen diesen zwei Fremden ein erster und letzter Pakt besiegelt.

Das zählt vielleicht nicht viel in einem Lebenswerk, das Bergman in Einklang bringt mit Rollen bei Woody Allen, Dario Argento, John Huston, John Milius, Francesco Rosi, Martin Scorsese, Steven Spielberg, Jan Troell, Thomas Vinterberg, Wim Wenders und Valerio Zurlini sowie mit Abstechern in die »Star Wars«- und »Game of Thrones«-Universen. Max von Sydow hat auch in Sydney Pollacks »Condor« eine noch poetischere Szene, seine Begegnung mit Redford am Ende, als er einen Drahtzieher getötet hat und rücksichtsvoll das Licht vor dessen Haus ausschaltet. Redford will wissen, weshalb es das ganze Blutvergießen gab. »Warum? Ich interessiere mich nicht für das Warum«, erklärt er ihm, höflich »ich denke in Begriffen wie Wann? und Wo? Und immer: Wie viel?«

Das war, wie mir Bertrand Tavernier einmal berichtete, einer der zwei besten Dialoge, die von Sydow nach eigener Aussage in einem englischsprachigen Film zu sprechen hatte. Auch der andere stammte von dem Drehbuchautor David Rayfiel. Er ist in Taverniers »Death Watch – Der gekaufte Tod« zu hören. Da wirft Romy Schneider ihrem Ex-Mann vor; »Du bist ein leidenschaftlich bequemer Mensch geworden.« Und er erwidert: »Ja, und es war nicht leicht.« Rayfiels Dialoge waren immer ein wenig zu literarisch fürs Kino, zu lyrisch, elliptisch, schwebend und geheimnisvoll. Max von Sydow verstand sie genau.

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