Die temperamentvollsten Augenbrauen

Wäre Sean Connery, der an diesem Dienstag 90 Jahre alt wird, keine Legende und hätte er sich nicht vor anderthalb Jahrzehnten aus dem Filmgeschäft zurückgezogen, müsste er heutzutage wohl mit heftigem Gegenwind rechnen. Er wäre eine ganz und gar unzeitgemäße Erscheinung. Ich denke dabei weniger an den Chauvinismus vieler seiner Charaktere, der ihm nun angekreidet würde. Vielmehr vermute ich, dass ihn als aktiven Schauspieler jetzt vor allem der Vorwurf der kulturellen Aneignung treffen würde.

Der glühende Schotte hat reuelos Figuren unterschiedlichster Herkunft und Nationalität verkörpert: einen marokkanischen Berberfürsten, einen norwegischen Polarforscher, einen spanischen Edelmann, irischstämmige Minenarbeiter oder Cops, einen sowjetischen (genauer: litauischen) U-Boot-Kommandanten und überhaupt jede Menge Amerikaner und sonstige Briten. Dabei hat er stets - und das würde den Vorwurf der cultural appropriation gewiss nicht entkräften, im Gegenteil – seinen Akzent beibehalten. Bei Bond passte das noch, der ist ja halbschottischer Abstammung. Aber diese mundartliche Unbeugsamkeit hat ihm danach eine Menge Spott eingebracht. Unlängst noch hat sich Frank Arnold in seiner Kritik zur Blu-ray von »Der Wind und der Löwe« in dieser Zeitschrift darüber mokiert. (Ich glaube allerdings, im Drehbuch gibt es eine beschwichtigende Erklärung: Raisuli ist in Schottland zur Schule gegangen.) Aber es ist schon erstaunlich, dass anscheinend nie ein Regisseur darauf bestand, dass er seinen Edinburgh brogue ablegte.

Bei »Zardoz« wäre das kein nennenswertes Problem gewesen, da der in einer unbestimmten Zukunft spielt. Aber John Boorman, der ihn bei den Dreharbeiten als einen Menschen kennenlernte, der mit sich im Reinen war und in seiner Haut pudelwohl fühlte, konnte dennoch nicht umhin, ihn zu fragen, ob ihm je der Gedanke gekommen sei, einen anderen Akzent zu benutzen. "If I didn't talk the way talk", erwiderte Connery, "I wouldn't know who the fuck I was."

Darin liegt, wie Boorman in seinen Memoiren "Adventures of a Suburban Boy" schreibt, das große Mysterium: Ein Filmstar kann die unterschiedlichste Rollen spielen, bleibt aber stets er selbst – während ein Charakterdarsteller sich die Figuren aneignet, sich in ihnen verliert und keine Ahnung hat, wer er ist. In diesem Sinne wäre Connery eigentlich ein eminent unbritischer Schauspieler, ein Antipode jener Kunstfertigkeit der vielfachen, gründlichen Maskierung, die beispielsweise Alec Guiness oder Daniel Day-Lewis auszeichnet. Ganz offensichtlich genoss er die Zweideutigkeit seiner Star-Identität, er selbst bleiben zu dürfen in all den Charakteren, die er vor der Kamera spielte. Er fühlte sich wohl in seiner und in ihrer Haut.

Das bedeutet nicht, dass er sich keine Mühe gab. Er wirkt immer so entspannt vor der Kamera, da unterschätzte man leicht, wie enorm sein Talent ist. Aber seine Starpräsenz ist nur nachrangig ein Spielfeld virtuoser Technik - wenngleich, das wird oft unterschlagen, Beobachtungsgabe, Erfahrung, Neugierde und Phantasie hier eine wichtige Rolle spielen. Bei der Wahl seiner Rollen mag sein Instinkt bisweilen trüglich gewesen sein, aber bei deren Gestaltung verließ er ihn nie.

Dieses Wissen, wer er ist, übertrug sich ganz selbstverständlich auf sein Publikum: Es hatte immer Connery vor sich. Es passt zu ihm, dass er keinen Künstlernamen annahm, sondern eben wirklich Sean heißt; mit einem vernünftigen, aber verzichtbaren Thomas davor. Diese Unverwechselbarkeit wirft natürlich die Frage seiner Glaubwürdigkeit in den unterschiedlichen Rollen auf. Aber bei ihm stellt sie sich anders als bei Schauspielern, die vor ihm kamen. Francois Truffaut hatte vielleicht nicht ganz unrecht, als er beklagte, durch die Bond-Filme sei die Wahrnehmung des Publikums korrumpiert worden: Bis dahin wollte es an das glauben, was es auf der Leinwand sah, danach war es im egal. Nicht, dass Connery derlei im Sinn hätte. Aber er ist ein gewissenhafter Verführer.

Der schottische Akzent ist nicht das einzige Unveräußerliche, das er in sämtliche Rollen hineinträgt. Er bringt seine Gestalt mit, die ganzen 1,88 Meter. Die bemerkt man erstaunlicherweise aber nicht durchweg, er musste nicht all seine Partner und Partnerinnen überragen. (Es wäre bestimmt wunderbar, ihn an der Seite von Elisabeth Debicki zu sehen.) Wie hochgewachsen er ist, fiel mir erst richtig auf, als ich ihn einmal zu einer Verleihung des europäischen Filmpreises eilen sah. Diese gleichsam zurückhaltende Körpergröße ist mithin weniger unverwechselbar Connery als etwa sein Minenspiel. Wie er beispielsweise seine Lippen schürzt, ist einzigartig. Amerikanische Schauspieler wirken meist etwas dumm, wenn sie mit offenem Mund agieren, was viel zu oft passiert. Connerys offener Mund jedoch ist ein Kraftwerk, da sind Muskeln im Spiel, von deren Existenz der Großteil seiner Kollegen keine Ahnung hat. Er schleudert die Laute hinaus, der Welt entgegen. Dialoge spricht er so, als seien ihm die Worte spontan in den Sinn gekommen, ohne Drehbuch, Proben und Regieanweisungen. Connerys Glaubwürdigkeit ist schierer Geistesgegenwart geschuldet. Er besitzt die Gabe, den jeweiligen Moment zu erfassen, um einer fiktiven Figur ihre Wahrheit zu geben: Alchemie einer blendenden Intensität, einer reizvollen, spannenden Lebendigkeit.

Wo die Augen anderer Darsteller leuchten oder strahlen, blitzen die von Connery. Ihr Ausdruck ist so unmittelbar und rasch wie sein Sprechduktus. Aber was wären sie ohne die Brauen, die über ihnen liegen? Sie sind sein temperamentvollstes Instrument. Er beherrscht es virtuos, nicht nur glattrasiert als Bond, sondern erst recht im Verbund mit seinen großartigen Schnauz - oder Vollbärten. Er hebt oder senkt seine Augenbrauen in Richtungen, die dem Kino bis dahin nicht zu Gebot standen. Sein Bond-Nachfolger Roger Moore konnte sie nur spöttisch kräuseln, aber Connery formt sie zu einem machtvollen Bogen, oder, am schönsten, zu einem Dreieck. In ihnen stecken Wachsamkeit, Genugtuung, Skepsis, Erstaunen, Nachsicht, Neugierde, Aufmerksamkeit, die Freude am Fabulieren oder Weisheit. Mit ihnen drückt er nicht nur Stimmungen aus, sondern eine Weltsicht. Als ihn die Queen vor 20 Jahren in den Adelsstand erhob, tat sie dies wegen seiner Verdienste für Schottland. Das war schon recht so, aber ich wünschte, sie hätte im Kino genauer hingesehen. Gleichviel, Herzlichen Glückwunsch, Sir Thomas Sean Connery!

 

 

 

 

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