Über den Berg

Vorgestern zerschellte einer meiner schönsten Kaffeebecher auf dem Küchenboden. Ich trennte mich ungern von ihm, aber auch mit Alleskleber war der Schaden nicht zu beheben. Als Kaffeebecher diente er mir, genau genommen, gar nicht mehr: Seit Jahren trank ich nur noch Tee daraus. Eigentlich war er auch nicht wirklich schön, obwohl mir seine tiefblaue Lackierung immer gefallen hatte. Das Beste an ihm war, dass er das Logo von Paramount trug.

Er weckte schöne Erinnerungen. Als ich zum ersten Mal nach Los Angeles kam, fragte mein Freund Robert Osborne mich, welches Studio ich unbedingt einmal besuchen wollte. Da musste ich nicht lange überlegen. Natürlich wollte ich den Ort sehen, an dem einst Lubitsch, Sternberg, Mitchell Leisen und Wilder gedreht hatten und in dem Jahrzehnte später »Der Pate« und »Chinatown« entstanden. Damals, Anfang der 1990er Jahre, gab es bei Paramount noch keine Studio-Tour, aber Bob hatte Verbindungen, die Türen öffneten. Allerdings fuhren wir nicht durch das berühmte, spanisch-barocke, schmiedeeiserne Tor auf das Gelände. Das besaß nur noch repräsentative Bedeutung. Natürlich erinnerten wir uns bei seinem Anblick glühend an den Moment aus »Sunset Boulevard«, wo Gloria Swanson als Stummfilmstar Norma Desmond 1950 in ihrem Isotta Fraschini wieder ins Studio zurückkehren will, das es ohne sie nicht gäbe. Der erste Wachmann kennt ihren Namen nicht mehr auf. Aber es findet sich ein Veteran, der ihr ehrfürchtig Zutritt verschafft. Bob erzählte, seither berührten junge, hoffnungsvolle Schauspieler das alte Tor als einen Glücksbringer und sprächen dabei die Zauberformel "I'm ready for my close-up, Mr. De Mille". Die jetzige Pforte war prosaischer, aber mein Herz klopfte dennoch schneller, als wir sie passierten.

Bob kannte sich dahinter gut aus. Nachdem Paramount sich in den späten 50ern die Ateliers von RKO einverleibt hatte, waren diese der Sitz von Lucille Balls Produktionsfirma "Desilu", deren Namen Sie bestimmt aus dem Vorspann von »Raumschiff Enterprise« kennen und bei der mein Freund für eine Weile als Schauspieler unter Vertrag gestanden hatte, bevor Ball ihm riet, es mit dem Schreiben zu versuchen. (Ich glaube, darüber schrieb ich schon in meinem Eintrag "The Osbo Incident" vom 7.3. 2017). Aber als Erstes zeigte Bob mir die ehemalige Garderobe von Marlene Dietrich, die er vergötterte. Die Etage darüber diente Wilder als Drehort für den Drehbuchautoren-Trakt in »Sunset Boulevard«, wo William Holden und Nancy Olsen gemeinsam an einem Stoff arbeiten. Nun waren in dem Gebäude die Büros des Produzenten Robert Rehme ansässsig, der nach dem Erfolg von »Jagd auf Roter Oktober« eine Serie von Tom-Clancy-Verfilmungen lancierte.

Paramount war seinerzeit (und ist es heute erst recht) das einzige der klassischen Studios, dessen Hauptquartier noch immer in Hollywood liegt. Der Besuch, den wir ihm abstatteten, war nostalgisch. Aber zugleich gingen auf dem Backlot das Einst und Jetzt eine selbstverständliche Ko-Existenz ein. Obwohl er seit Jahrzehnten praktisch keine Filme mehr machte, hatte der Westernproduzent A.C.Lyles dort noch immer ein Büro, in dem er bis zu seinem Tod im Alter von 95 Jahren angeblich regelmäßig erschien. Er hat noch einen Credit als "Consulting Producer" der HBO-Serie »Deadwood«, fungierte aber wohl vor allem als ein Frühstücksdirektor, dem die Studioleitung gern die Aufgabe anvertraute, illustre Besucher über das Gelände zu führen und die alten Zeiten zu beschwören. Seine Produktionen taugten nicht furchtbar viel, in ihnen fristeten ausgediente Stars ihr darstellerisches Gnadenbrot unter der Regie von Routiniers wie R.G. Springsteen. Recycling-Kino, das keinen Anlass liefert, Lyles als verkannten Meister des B-Picture zu rehabilitieren. Aber irgendwie war es schön, dass das Studio auch an diesem Teil seiner Geschichte festhielt.

Robert Evans hingegen, von dem sich Paramount gestern offiziell getrennt haben, war für das Studio von ganz anderer Bedeutung. Als Produktionschef rettete er es mit Filmen wie »Rosemarys Baby«, »Love Story« und »Der Pate« vor dem Ruin. Er riss wirklich das Ruder herum. Als Produzent hatte er danach für eine glorreiche Zeit, die 1974 mit »Chinatown« ihren kreativen Höhepunkt erreichte und mit »Der Marathon Mann« 1976 fast schon wieder vorüber war, (naja, »Black Sunday« war ein Jahr später noch ein schöner Nachschlag und »Urban Cowboy« lief 1980 auch sehr gut), hatte er einen unvergleichlichen Lauf. Eine schillernde Figur, über die ich gar nicht viele Worte verlieren muss: Der erste Teil seiner Autobiographie ("The Kid stays in the Picture") ist sogar auf deutsch erschienen und war später Grundlage eines tollen Dokumentarfilms und einer witzigen Zeichentrickserie; in »Wag the Dog« parodiert ihn Dustin Hoffman ganz wunderbar, inklusive des unübertrefflichen Bademantels. Seiner Legende konnten vorerst auch die Unsummen, die »The Cotton Club« und die heroische »Chinatown«-Fortsetzung »The Two Jakes« verloren, nichts anhaben. Bei Paramount war er offenbar nach wie vor willkommen. Seinen letzten Film produzierte er 2003 für sie. Das ist eine Ewigkeit her und Evans jetzt 89 Jahre alt. Da muss man die Auflösung des Produktionsvertrages nicht als Schmach empfinden. Unglaublich, dass die wechselnden Studiochefs ihm so lange die Treue hielten. In der IMDb ist ein neues Projekt angekündigt, das an frühere Zeiten anknüpfen will. Er ist die Norma Desmond des 21. Jahrhunderts.

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